Die Hannoversche Republik

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

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Die Hannoversche Republik

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

Niedersachsen ist ein besonderes Bundesland. Seit langem gehört es neben Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen zu jenen Bundesländern, die wegen ihrer Größe im Bundesrat über sechs Stimmen verfügen und nicht – wie zum Beispiel Bremen oder das Saarland – bloß über drei. Zu Zeiten der „Bonner Republik“ überwog das politische Personal, das aus dem Westen und Südwesten der „alten“ Bundesrepublik kam. Nach der Wende änderte sich das. Lange konnten die Talkshows mit Spitzenpolitikern bestückt werden, die ehedem dem Niedersächsischen Landtag angehört hatten: Sigmar Gabriel (SPD), Philipp Rösler (FDP), Jürgen Trittin (Grüne) und Ursula von der Leyen (CDU). Neben der EU-Kommissionspräsidentin stammt auch der frühere Bundespräsident Christian Wulff von dorther. Für die SPD war Niedersachsen immer schon etwas Besonderes. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie unter Kurt Schumacher von Hannover aus geführt, ehe es nach Bonn ging. Der Aufstieg von Gerhard Schröder zog wie in einer Seilschaft viele Sozialdemokraten aus Niedersachsen in bundespolitische Spitzenfunktionen nach sich: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Peter Struck und Thomas Oppermann, die Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier, die Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und nun Lars Klingbeil sowie einflussreiche Bundesminister wie Hubertus Heil.

Auch für die Grünen ist Niedersachsen ein besonderes Bundesland. Schon 1982 wurden sie in den Landtag gewählt – noch bevor sie auch in den Bundestag kamen. Die rot-grüne Landesregierung 1990 wurde zum Vorläufer der gleichfarbigen Bundesregierung 1998: Schröder und Trittin lernten im niedersächsischen Landeskabinett, dass und wie sie in der Bundespolitik miteinander auskommen konnten. Vor allem aber wurden Grundsteine der Grünen dort gelegt – voran im Widerstand gegen die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie. Stichworte: Gorleben, Republik Freies Wendland, der Schacht Konrad, Lingen an der Ems. Trittin organisierte als Bundesumweltminister den ersten Atomausstieg. Dass das Kernkraftwerk in Lingen laut Stresstest von Wirtschaftsminister Robert Habeck auch nicht vorübergehend am Netz bleiben sollte, war so gesehen passgenau. Es entsprach der Forderung der Landes-Grünen dort.

Niedersachsen ist derzeit das einzige Sechs-Stimmen-Bundesland, das von einem SPD-Ministerpräsidenten, Stephan Weil, geführt wird. Viel spricht dafür, dass es nach der Landtagswahl am kommenden Sonntag so bleibt. Fast alle Landesregierungschefs wurden bei Wahlen wieder in ihren Ämtern bestätigt. Mindestens zum Teil lassen sich die Auseinandersetzungen in der Berliner Ampelkoalition mit niedersächsischen Angelegenheiten erklären. Es herrscht eben Wahlkampf. Stephan Weil muss sich vom SPD-Umfragetief im Bund absetzen. Habeck hat Rücksichten zu nehmen. Die FDP hat sich um den Verbleib im Landtag zu sorgen. Dass es wie nach den Wahlen im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wieder zu einem schwarz-grünen Bündnis kommt, ist unwahrscheinlich. Freilich: Bislang gab es noch bei jeder Landtagswahl eine Überraschung.

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