Die Rückkehr des Ökobürgertums

Warum vieles für Schwarz-Grün spricht – nicht nur in Nordrhein-Westfalen

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PICTURE ALLIANCE/SVENSIMON | MALTE OSSOWSKI
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PICTURE ALLIANCE/SVENSIMON | MALTE OSSOWSKI

Die Rückkehr des Ökobürgertums

Warum vieles für Schwarz-Grün spricht – nicht nur in Nordrhein-Westfalen

Die beiden Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein bildeten die Ouvertüre für die „kleine Bundestagswahl“ nun in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland. Allerdings sind diesmal die Gegebenheiten andere. Ein fulminanter Erfolg einer Partei, wie der SPD im Saarland (43,5 Prozent) und der CDU in Schleswig-Holstein (43,4 Prozent), bahnt sich nicht an. Diese beiden Wahlen im Südwesten und im Nordwesten beruhten wesentlich auf regionalspezifischen Konstellationen. Im Saarland dominierte die bodenständige Anke Rehlinger und in Schleswig-Holstein der weit über die eigene Partei hinaus populäre Landesvater Daniel Günther. Noch bei der Bundestagswahl 2021 schnitt die SPD dort sechs Prozentpunkte besser ab als die CDU.

Die triumphalen Erfolge der beiden Politiker hatten für sie gleichwohl negative Folgen. Aus der Zweier-Koalition im Saarland entstand eine Einparteienregierung, aus der Dreier-Koalition in Schleswig-Holstein entsteht eine Zweier-Koalition. Der SPD wäre im Südwesten jedoch an einer Einbindung der CDU als Juniorpartner in die Regierung gelegen gewesen, der CDU an der Fortsetzung des Bündnisses mit den beiden „Kleinen“ im Nordwesten, wie im Wahlkampf stets betont. Günther hat nun die Qual der Wahl: Soll er ein „natürliches“ Bündnis mit der um mehr als fünf Punkte eingebrochenen FDP eingehen oder eines mit den Grünen, die sich um mehr als fünf Punkte zu steigern vermochten? Dies wäre eine neue Große Koalition mit einer klaren Zweidrittel­mehrheit. Ein Bündnis der CDU mit den Grünen trotz einer arithmetischen Mehrheit von Schwarz-Gelb: ein Signal weit über Schleswig-Holstein hinaus.

Eine bundespolitische Tragweite wohnt den beiden Wahlen inne: Der eine „Merkelianer“ triumphierte, der andere „Merkelianer“, Tobias Hans, stürzte tief ab. Weder verantwortet Friedrich Merz die Schlappe im Saarland noch den haushohen Sieg in Schleswig-Holstein. Gleiches gilt mit umgekehrten Vorzeichen für Bundeskanzler Olaf Scholz, dem das schwache Auftreten Thomas Losse-Müllers in Schleswig-Holstein wahrlich nicht anzulasten ist. Anders sieht es nun in Nordrhein-Westfalen aus. Dort stammt Merz her, und Scholz muss sich dessen bewusst sein, dass die Wahl auch als ein Votum über seine fast halbjährige Zeit als Bundeskanzler gilt.

Der Zufall des Wahlkalenders spielt eine große Rolle. Ein zeitlicher Austausch der Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein hätte der SPD Rückenwind verliehen. Denn bekanntlich ist nichts derart erfolgreich wie der Erfolg. So aber könnte der Ministerpräsident Hendrik Wüst, als Armin Laschets Nachfolger erst ein halbes Jahr im Amt, weder ein klarer „Merkel“-Mann noch – wie früher – ein Merz-Hardliner, beim Kopf-an-Kopf-Rennen einen Sieg davontragen, zumal sein SPD-Konkurrent Thomas Kutschaty für einen künftigen Ministerpräsidenten eine eher mäßige Bekanntheit aufweist. Dies versucht er dadurch zu kompensieren, dass Bundeskanzler Scholz massiv in den Wahlkampf einbezogen wird. Auf Plakaten ist einerseits Kutschaty mit Scholz zu sehen und andererseits zu lesen „Gemeinsam für NRW und Deutschland“.

Sollte die CDU vorne rangieren, läge ein Bündnis mit den Grünen schon deshalb auf der Hand, weil diese beiden Parteien wohl über ausreichend Mandate für ein Zweier-Bündnis verfügten. Das bisherige schwarz-gelbe Bündnis erzielt augenscheinlich eine solche Mehrheit nicht. Die SPD hat selbst bei einem zweiten Platz, wonach es aussieht, gewisse Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten: (1) wenn sie mit den Grünen eine Mandatsmehrheit erringt und diese sich darauf einlassen, eine solche Koalition zu schmieden; (2) wenn Grüne und Liberale einwilligen, die SPD zu unterstützen, damit die Strahlkraft der Bundesregierung auch im größten Land Widerschein findet, nach dem von der SPD propagierten Motto „Bund und Land – Hand in Hand“.

Angesichts der zahlreichen Parlamentsparteien legen sich diese nicht auf spezifische Koalitionsoptionen fest. Das ist misslich: Die Wähler­schaft weiß nicht, was mit ihrer Stimme nach der Wahl passiert. Am Wahlabend dürfte die Koalition nicht feststehen – wie in Schleswig-Holstein. Ein Wähler der Grünen bleibt im Unklaren darüber, ob seine Partei die Union oder die SPD bevorzugt. Dort müssten die Parteien stärker Flagge zeigen und ihre Erstpräferenzen benennen. Ansonsten wird das Wählervotum entwertet.

Die Liberalen dürften „der“ Verlierer der drei Landtagswahlen sein: im Saarland wieder nicht im Parlament und in den beiden anderen Ländern nicht mehr in der Regierung vertreten. Noch schlechter stehen die zwei Randparteien da: Die Linke und die AfD. Wer allerdings das Totenglöcklein für sie läutet, muss wissen, dass sie von den großen Herausforderungen, die etwa die Globalisierung oder die politische Großwetterlage bringen, jedenfalls zeitweise zu profitieren verstehen.

Was nach 1969 eingetreten war, das Koalitionsmuster im Bund (Rot-Gelb) auf die Länder zu übertragen, trifft mit Sicherheit nicht zu. Das ist ein Indiz für die allmähliche Auflösung der politischen Lager. Eine Entscheidung an Rhein und Ruhr zugunsten von Schwarz-Grün dürfte dieses Koalitionsmuster auch im hohen Norden begünstigen. Das wäre Neuland für die beiden Länder, jedoch nicht für die Regierungskonstellationen anderswo. In Hessen (seit 2013) wie in Baden-Württemberg (seit 2016) arbeiten die schwarz-grüne beziehungsweise die grün-schwarze Regierung geräuschlos zusammen. Schwarz-Grün wäre somit der am häufigsten vertretene Koalitionstyp in den Bundesländern mit ihren buntscheckigen Regierungsformaten.

Und vielleicht entstünde eine solche Regierungsbildung demnächst auch im Bund (mit einer jeweils gestärkten Union und einer Grünenpartei), wie bereits vor der jüngsten Wahl erwartet – dies wurde vermasselt durch schwere Fehler der Spitzenkandidaten der Union und der Grünen im Wahlkampf. Die „Ampel“ wäre dann schon in den Anfängen ein „Auslaufmodell“. Aber so weit ist es angesichts der Volatilität der Wählerschaft noch nicht.

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