Markenzeichen nörgelnde Inkompetenz

Die AfD in der Selbstradikalisierungsschleife ist geschwächt, aber nicht erledigt

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SOEREN STACHE/DPA-ZENTRALBILD/DPA
Väter des „Flügels“, Brüder im (Un-)geiste, Kinder des „gärigen Haufens“? Alexander Gauland und Andreas Kalbitz
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SOEREN STACHE/DPA-ZENTRALBILD/DPA
Väter des „Flügels“, Brüder im (Un-)geiste, Kinder des „gärigen Haufens“? Alexander Gauland und Andreas Kalbitz

Markenzeichen nörgelnde Inkompetenz

Die AfD in der Selbstradikalisierungsschleife ist geschwächt, aber nicht erledigt

Wie steht es um die AfD? Alexander Gauland hat seine Partei oft als „gärigen Haufen“ tituliert, wohl in der Hoffnung, aus billigem Most könnte einmal guter Wein werden. Er dürfte sich verrechnet haben, eher wird, um im Bild zu bleiben, gepanschter Wein zu ungenießbarem Essig. Konsequent wandelte sich die AfD von einer populistischen Protestpartei in eine völkisch-autoritäre Bewegung, die „heimatlose“ rassistische, frauenfeindliche und faschistoide Kräfte in der deutschen Gesellschaft anzog. Weltanschaulich durchgesetzt hat sich jetzt der „Flügel“, während die (zu Unrecht) auf solide Bürgerlichkeit pochenden Parteireste kraftlos dahintrudeln. Ein Flügel reicht eben nicht für Langstrecken im Parteiensystem.

Die AfD, die sich auf dem Weg zur „Volkspartei“ und als Erbin der nach links gerückten Merkel-CDU wähnte, kann ihren Aufschwung von 2019 nicht fortsetzen. In Umfragen verliert sie nicht nur rasant im Westen der Republik, sondern auch in den östlichen Ländern, wo sie stärkste Partei zu werden drohte und die Etablierten vor sich hertrieb – die thüringische Ministerpräsidentenwahl war das erbärmliche Lehrstück. Destabilisierung ist die ganze Mission der AfD, nörgelnde Inkompetenz ihr Markenzeichen.

Was hat zum Aufstieg der AfD beigetragen? Das periodische Aufkommen von Parteien rechts von Union und SPD in der Bonner Republik machte stets auf Repräsentationslücken aufmerksam, die Ultra-Rechte nie dauerhaft zu füllen vermochten. Zuletzt ist das Vorhaben, das Koordinatensystem der Bundesrepublik nach rechts zu verschieben, ganz ohne Machtteilnahme in der Migrations- und Flüchtlingspolitik gelungen, weil das Establishment Angst bekam und eigene Ambitionen hinter der Rücksicht auf die „Sorgen und Nöte einfacher Bürger“ kaschieren konnte. Das gelang vor allem, wo die Repräsentationskrise so weit gediehen ist wie in den ostdeutschen Ländern. Gauland erinnert gerne an das Vorbild der Grünen, die in ihrem „Gärungsprozess“ die radikalen Fundis marginalisiert und sich als Koalitionspartner profiliert hätten. Dabei war er immer ein politischer Hasardeur, der auf Baisse spekulierte. „Etwas Besseres als die Flüchtlinge konnte uns nicht passieren“ – so schwadroniert ein Verderber Deutschlands. Dass Gauland im Schaukampf Kalbitz versus Meuthen (der ein nicht minder gewissenloser Opportunist ist) zu dem Freund „heimattreuer“ Nazis hält, ist der konsequente Absturz seines Altersprojekts, der Rache an der CDU.

Wie geht es weiter mit der AfD? Die Partei bietet das Gruppenbild großer Zerrissenheit. In der Bonner Republik konnte man sich darauf verlassen, dass ultrarechte Parteien sich früher oder später selbst zerlegten, wenn ihnen das Mobilisierungsthema abhanden kam: Der NPD starben die Altnazis weg, Schönhubers Republikaner kam die Wiedervereinigung in die Quere, Ronald Schills Law-and-Order-Partei rockte Hamburg nur eine Legislaturperiode. Das zivilgesellschaftliche Aufbäumen gegen die Radikalisierung war stark und der Antifaschismus selten so militant, dass Rechte in eine Opfer- und Märtyrerrolle schlüpfen konnten. Und endlich ist es Konsens, dass die größte Gefahr für die deutsche Demokratie von rechtsaußen droht.

Vor allem im Westen wirkte auch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, der nur AfD-Personal im Staatsdienst abschreckt und zugleich Radikale in der Partei stärkt.

Ist die AfD überschätzt worden? Lange wurde ihre Gefährlichkeit eher unterschätzt. Die Partei hat die politische Kultur der Berliner Republik durch das systematische Misstrauen gegen Wissenschaft, Medien und Rechtstaat nachhaltig beschädigt, und die AfD ist zum Katalysator militanter, gewalt- und sogar mordbereiter Gruppen und Einzeltäter geworden. Das paranoide Gerede vom Bevölkerungsaustausch, die offen artikulierte, auch schon brutal exekutierte Vernichtungswut auf Politiker, die sture Obstruktion einer überfälligen Klima- und Umweltpolitik – all das ist wesentlich der AfD anzulasten. Sie steckt in einer Selbstradikalisierungsschleife zur NPD 2.0, und beunruhigend ist, dass Rechtsradikale Polizei, Bundeswehr und Justiz unterwandern.

Ist die AfD am Ende? Das Potenzial für eine Post-Corona-Renaissance ist da, wobei die Inkompetenz der AfD am Beispiel der Pandemiebekämpfung gerade überdeutlich wurde. Noch immer steht fast ein Fünftel der ostdeutschen Befragten hinter Kalbitz, Höcke und Urban, auch favorisieren rechte Unionspolitiker und Liberale insgeheim die Option eines „bürgerlichen Bündnisses“. Weiter springen frustrierte Arbeitslose und Arbeitnehmer, darunter Gewerkschafter, auf den AfD-Zug, autoritärer Nationalismus und weiße Überlegenheitsideologien breiten sich in Europa aus. Ein mal hämisch grinsendes, mal aggressiv grölendes Ressentiment frisst die politische und mediale Öffentlichkeit an, wobei derzeit die AfD den Wutbürgern und Corona-Leugnern eher hinterherläuft. Wir erleben einen kolossalen Verlust an politischer Vernunft. Mit oder ohne AfD kommen schwere Zeiten auf Deutschland und Europa zu.

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