Ungeister

Postskriptum

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Ungeister

Postskriptum

Kurt Kister schrieb jüngst in der Süddeutschen Zeitung ein Denkstück über Denkstücke. Also über Feuilletonaufsätze mit praktisch-politischem, aber auch philosophischem Anspruch, die „Aufmerksamkeit, Beifall, Wut, im besten Falle sogar Nachdenken“ erzeugen.

Kister, einst SZ-Chefredakteur, heute selbst launiger Besinnungs­aufsatzverfasser, schreibt in Verteidigung von Jürgen Habermas, der zuletzt wieder einen, nun ja, umstrittenen Text zum Krieg in jenem Blatt veröffentlichte. Das heißt, Kister tritt mehr für das Denkstückartige des Textes ein als für die Sache. Böse gesprochen, die intellektuell gediegenere Variante des Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-Dürfen. Aber nichts für ungut, ernste Debatten, „bis zum Bruchpunkt gedehnt“ (Joachim Fest), sind unabdingbar.

Kister referiert die Reaktionen auf Habermas einfach gleich selbst – „eine weitere Wortkette in der verdammenswerten Appeasement-Publizistik à la Wagenknecht“ oder dass der Philosoph „unpraktisch und realitätsfern“ argumentiere, sein Beitrag soll sich ja von den platteren, die unbedingt „entschieden Haltung zeigen“ abheben.

Immer gut und golden sind natürlich die Appelle, „man sollte dem andersmeinenden Gegenüber nicht erst mal grundsätzlich Dummheit und/oder Bosheit unterstellen“. Die ungute „schnelle Bereitschaft, den Angehörigen der jeweiligen Gegenseite Dummheit, moralische Verlotterung; Heuchlertum, Kriegstreiberei oder Blödpazifismus vorzuwerfen“ – auch nicht gut. Ist notiert.

Antje Vollmer, einst Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, schreibt diese Woche in der Berliner Zeitung ebenfalls zum Krieg und die Debatte darüber in Deutschland. Es sei üblich geworden, schreibt Vollmer, „zu Beginn jeder Erwähnung der ungeheuren Tragödie um den Ukraine-Krieg vom völkerrechtswidrigen brutalen Angriffskrieg Putins bei feststehender Alleinschuld der russischen Seite zu reden und demütig zu bekennen, wie sehr man sich geirrt habe im Vertrauen auf eine Phase der Entspannung und der Versöhnung mit Russland nach der großen Wende 1989/90“. Diese Schwurformel werde eingefordert wie ein Ritual, „wie ein Kotau, um überhaupt weiter mitreden zu dürfen“. Zugleich gesteht Vollmer zu, dass sie „ja auch nicht falsch“ sei. Aber ein so bisschen ja, aber soll dann doch noch folgen.

Schnell kommt sie zu einem „billigen antirussischen Ressentiment“, das bruchlos an die Ideologie des Kalten Krieges anknüpfe, „die vom berechtigten Antistalinismus über den verständlichen Antikommunismus bis hin zur irrationalen Slawenphobie viele Varianten von westlichen Feindbildern bis heute prägt“.

Der eigentliche Grundirrtum der europäischen Identität sieht Vollmer in dem „scheinbar unausrottbaren Bedürfnis nach nationalem Chauvinismus“ – in der Liste der Länder, die dieser Irrlehre aufgesessen sind, taucht nach Deutschland, Großbritannien, Spanien, Polen, der Ukraine und den baltischen Staaten schließlich dann doch auch noch Russland auf. Vollmers Bild Russlands entspricht allerdings durchgehend eher der Sowjetunion und sie denkt eingemauert in den Kategorien eines kalten und nicht denen eines leider „heißen“ Krieges, weswegen auch alle dereinst produktiveren Anleitungen für diplomatische Beziehungen unverändert angewandt werden könnten. Das war einst ein Mittel zur Wahrung eines kalten Friedens. Das unbeirrte Festhalten an den gestrigen Denkschablonen führt heute aber zum eklatanten Missverständnis. Vollmer fragt, was es eigentlich bedeute, eine europäische Nation zu sein – und spricht es der Ukraine ab.

In deutschen Medien stünde die Ukraine als eine „freiheitsliebende westliche Demokratie heroischen Zuschnitts“ da, die nicht nur für sich selbst, sondern für die Ideale des „Westens“ kämpfe. Die Autorin will natürlich eben jene Ideale – sprich: die USA – in Frage stellen, durchaus ein komplizierter Fall, selbst wenn man es ohne ideologische Vergröberungen betrachtet. „Wer sich machtpolitisch behauptet, wer seine Existenz mit blutigen Opfern und Waffen verteidigt, gilt als Bollwerk für die europäischen Ideale der Freiheit, koste es, was es wolle“, schreibt Vollmer mit Blick auf Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident suche nicht den „Weg des Konsenses, der Kooperation, der Verständigung und der Versöhnung“ – und solle, so Vollmer, deswegen kein Europäer sein und nicht die europäischen Tugenden verkörpern. Das ist dann, bei aller Kisterschen Debattenetikette, doch des Infamen zu viel. Das insinuiert, was erdreistet sich die Ukraine, sich gegen den Aggressor zu verteidigen – und führt zurück zu der Frage, warum der Reflex zur Täter-Opfer-Umkehr immer wieder so ungehemmt durchschlägt.

Zu Beginn hatte Vollmer davon gesprochen, beim Anblick eines Panzertransports festgestellt zu haben, zurück im Kalten Krieg zu sein, „in einer Spirale der gegenseitigen existenziellen Bedrohung“. Bernd Ulrich hat vor einigen Wochen in der Zeit die Logik derjenigen, die von ihren Ja, abers wider jede Wirklichkeit nicht lassen können, so beschrieben: „Es watschelt wie eine Ente, es quakt wie eine Ente – aber wissen wir wirklich ganz genau, dass es sich nicht um ein Gürteltier handelt?! Und im Übrigen: Ist der Westen nicht auch oft sehr entenhaft?“

„Alles, wogegen ich mein Leben lang politisch gekämpft habe, war mir in diesem Moment präsent als eine einzige riesige Niederlage“, denkt Vollmer beim Anblick der Panzer. Dort irrt sie sich zu ihren Gunsten, ihr politisches Lebenswerk war eben keine Niederlage. Die existentielle Bedrohung geht nicht vom Westen aus, aller Relativierungsakrobatik und Bringschuldrhetorik nach dem Zerfall des Warschauer Pakts zum Trotz. Nicht der Kalte Krieg ist zurückgekehrt, sondern der faschistische Ungeist.

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