Beim Geld springt die Ampel auf Gelb

Der 100 Milliarden-Topf für die Bundeswehr zerrt an den Nerven der Koalition

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PICTURE ALLIANCE/DPA/DPA-POOL
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Beim Geld springt die Ampel auf Gelb

Der 100 Milliarden-Topf für die Bundeswehr zerrt an den Nerven der Koalition

Als Olaf Scholz am 27. Februar in der Sondersitzung des Bundestages seine Regierungserklärung abgab, war der Redetext vorab nur wenigen Personen bekannt. Denn im Mittelteil der Rede hatte der Kanzler eine Botschaft platziert, die nicht im Vorfeld zerredet werden sollte: Scholz kündigte eine „Zeitenwende” nach der russischen Invasion in der Ukraine an. Ab jetzt sollen die jährlichen Verteidigungsausgaben in Deutschland auf mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung hochgefahren werden – ungeachtet dessen, dass SPD und Grünen dies noch vor der Wahl abgelehnt hatten. Um dies zu garantieren, sollen einmalig für ein Sondervermögen Bundeswehr Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro aufgenommen werden.

In Leitartikeln und Umfragen wurde dieser Schritt angesichts des Entsetzens über das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin überwiegend gefeiert: Es gibt ein breites Bedürfnis nach mehr militärischer Sicherheit in Deutschland und Europa. Aber in der Koalition von SPD, Grünen und FDP löste die Entscheidung von Scholz so viel Schwingungen aus, dass noch gar nicht absehbar ist, ob daraus zeitverzögert größere Erregungswellen im Regierungsbündnis werden. Denn der Coup stellt alte Grundüberzeugungen aller drei Parteien infrage. Plötzlich geht es um die Frage, wohin die selbsternannte „Aufbruch“-Koalition eigentlich steuert und was sie in Krisenzeiten überhaupt verwirklichen kann.

Zwar zeigen sich 100 Tage nach Regierungsantritt auch an anderen Stellen wie der Corona-Politik, wie mühsam der Kompromiss zwischen drei ungleichen Partner sein kann – trotz aller guten Vorsätze der Einheit und des neuen Stils. Aber die Debatte um den 100-Milliarden-Topf für die Bundeswehr wirkt anders, zeitversetzt. Denn das Sondervermögen löst einen gedanklichen Dammbruch jenseits des sorgfältig austarierten Koalitionsvertrages aus.

Wenn es plötzlich möglich ist, eine hohe zusätzliche Neuverschuldung für Rüstungskäufe zu ermöglichen, dann könnte man doch auch einen Sondertopf zur Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel einrichten, wird gerade bei den Grünen argumentiert.

Je mehr aber die Gedanken in Richtung neuer Geldtöpfe gehen, desto mehr muss sich die FDP herausgefordert fühlen. Sie war mit dem Image angetreten, das haushaltspolitische Korrektiv in der Ampel-Koalition zu sein. Deshalb wehrt sich FDP-Chef Lindner dagegen, dass ihm zu der ohnehin nicht kleinen Neuverschuldung von knapp 100 Milliarden Euro im Kernhaushalt und dem Sondervermögen Bundeswehr nun noch weitere Schuldenberge durch Schattenhaushalte aufgedrückt werden sollen. Mit Mühe bastelte der Finanzminister und Klimaschutzminister Robert Habeck ein gesichtswahrendes 200-Milliarden-Euro-Paket für Klimawandel bis 2026 zusammen – wobei es sich aber vor allem um eine Zusammenfassung vieler ohnehin geplanten Investitionen handelt.

Und schon ist eine Debatte entbrannt, ob man wirklich an der Schuldenbremse für 2023 festhalten müsse. Alle drei Parteien merken nämlich, dass sie durch den russischen Angriff auf die Ukraine und dessen Folgen politisches Neuland betreten – und es dabei kurz vor wichtigen Landtagswahlen auch bei den Ausgaben der Regierung um ihr Markenprofil geht.

Die Schwingungen in der Koalition werden dabei noch zunehmen. Denn eng verknüpft mit den Ausgaben für das Militär ist der Kampf gegen die stark gestiegenen Energiepreise. Ein erstes Entlastungspaket mit rund 15 Milliarden Euro Volumen hatte die Ampel nach dem aus früheren Koalitionen bewährten Verfahren zusammengebastelt, dass jeder Koalitionär etwas für seine Klientel ins Paket geben durfte. Nun muss sie wegen der weiter steigenden Preise ein neues, wohl noch teureres Paket schnüren. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich machte bereits klar, dass das Entlastungsvolumen groß werden müsse, wenn Finanzminister Christian Lindner schon mehr als sechs Milliarden Euro Entlastung nur für Tank-Rabatte einplant. Denn aus Sicht der SPD geht es vor allem um Hilfen für sozial Schwache. Und die Grünen hatten schon Probleme mit der Erhöhung der Pendlerpauschale. Nun sollen sie auch noch absegnen, dass das Tanken mit fossilen Brennstoffen wieder billiger wird.

Das zehrt ebenso an den Nerven wie die konkrete Verwendung der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Nicht ohne Grund war die Regierung bisher bei dieser Frage ziemlich diffus geblieben. Zum einen gibt es immer noch die Hoffnung bei einigen Koalitionären, dass man einen Teil des Geldes für andere Aufgaben wie den Katastrophenschutz oder die Cyberabwehr abzweigen könnte. Zum anderen führt jede Konkretisierung von Beschaffungsprojekten sofort zu einer Sinn/Unsinn-Debatte in der Koalition.

Die Anschaffung schwerer Transporthubschrauber für fünf Milliarden Euro gilt dabei noch als leichte Übung. Aber schon die am Montag bekannt gewordene milliardenschwere Entscheidung der Regierung für den Kauf amerikanischer F-35-Flugzeuge für die sogenannte nukleare Teilhabe löst Grummeln aus.

Zudem gibt es einen Zielkonflikt: Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner hätten das Sondervermögen gerne im Grundgesetz verankert – um die Einmaligkeit dieser Maßnahmen und die Zweckverwendung festzuschreiben. Aber für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit braucht die Ampel die Union. Und die fordert für ihre Zustimmung eine genaue Auflistung, wofür das Geld ausgegeben werden soll.

Dass der Widerstand in den Ampel-Fraktionen zum Sondervermögen dennoch überraschend zurückhaltend ist, hat nicht nur mit dem Schock über den russischen Angriffskrieg zu tun. Erfahrene Verteidigungs- und Haushaltspolitiker wissen, dass die Kreditaufnahme für das Sondervermögen nur das Vorspiel ist: Rüstungsprojekte müssen mit Beschaffungsvorlagen durch den Bundestag, der reguläre Verteidigungshaushalt soll zudem stabil gehalten werden – alle Steigerungen müssen also aus dem Sondervermögen kommen. Und im Bundestag können ungeliebte Bestell-Projekte jahrelang verzögert werden. Ob das von Scholz gesteckte Ziel erreicht wird, schon ab diesem Jahr mehr als zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, ist deshalb noch gar nicht sicher.

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