Crash-Propheten

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Crash-Propheten

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Der Bundeswirtschaftsminister zeigt Nerven. Verständlicherweise dünnheutig ist Robert Habeck geworden und – leider – etwas zu larmoyant. Sicher nicht nur, weil er sich derzeit erstens schwertut, grüne Wirtschaftspolitik zu betreiben, und zweitens zeitlich enorm belastet ist, sondern vor allem, weil die Gleichzeitigkeit exogener Schocks das deutsche Wirtschaftsmodell erschüttert, das uns allen in den vergangenen 15 Jahren Beschäftigung und Wohlstandszuwachs beschert hat. Der Minister und Vizekanzler hat tatsächlich schwer zu tragen.

Doch statt Fortschritt zu organisieren, wozu diese Krise mit ihrem gewaltigen Veränderungsdruck durchaus Anlass gäbe, hat er sich auf die Bekämpfung von Engpässen verlegt. Verdienstvoll zwar, aber reichen wird das nicht. Unlängst bereitete er das Land mit ernster Miene auf eine Rezession vor und nahm dabei sogar das Wort „schlimm“ in den Mund – ein klassischer polit-psychologischer Lehrbuchfehler. Dass der Abschwung womöglich schon im Jahr 2024 wieder vorüber sein könnte, für das die Bundesregierung 2,3 Prozent Wachstum berechnet hat, vernahm danach fast niemand mehr.

Fatalerweise ist Habeck nicht der einzige Rezessionsprediger. Der Ökonom Marcel Fratzscher verkündete eine bevorstehende Pleitewelle ungeahnten Ausmaßes. Zu seinem Szenario passen warnende Sätze einiger seiner Kollegen, die nicht den Abschwung selbst in Frage stellen, sondern gar nicht erst zu prognostizieren wagen, wie fürchterlich dieser werden wird. Der Internationale Währungsfonds und die OECD bestätigen all das für Deutschland in Superlativen, was hierzulande wiederum auf fruchtbaren Boden fällt. Die deutsche Wirtschaft werde von dem Beben, das die verschiedenen Krisen auslösen, die sich derzeit wie tektonische Platten übereinanderschieben, am härtesten getroffen. Und das mit dystopischen Konsequenzen, befürchten wiederum andere, denen schon die Millionen Menschen vor Augen stehen, die im Winter aus Wut und Verzweiflung auf den Straßen für Unruhen sorgen und so nicht nur die öffentliche Sicherheit, sondern auch die Demokratie gefährden.

Kein Zweifel, die Lage ist so herausfordernd wie wohl noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Aber: Man kann das Land auch in die Krise reden, um damit ausgerechnet das aufs Spiel zu setzen, was seine Widerstandsfähigkeit begründen könnte: ein enormes Innovationspotential sowie Fleiß und Sparsamkeit der Bürger. Warum ist die Unheil-Prophetie gleichwohl so attraktiv?
 
Wie für Meteorologen ist es auch für die Reputation von Politikern und Wissenschaftlern nachteilhaft, heraufziehende Stürme nicht rechtzeitig als solche identifiziert zu haben. Denn vor Katastrophen nicht gewarnt zu haben, bleibt der Öffentlichkeit im Falle ihres Eintritts gemeinhin als unverzeihliche Fehlleistung für immer im Gedächtnis. Und das aus erwiesenem Grund: Den Menschen ist, wie Verhaltenswissenschaftler hinreichend erforscht haben, eine gewisse Verlustaversion eigen. Sie bewerten Verluste höher als Gewinne. Genau diese unterschiedliche Gewichtung trägt ihre Asymmetrie in das Spiel mit den Untergangsprognosen. Mehr noch: Sie macht sie geradezu attraktiv. Bleibt nämlich der Sturm aus oder verliert er an Stärke, werden die bedrückenden Vorhersagen nicht als Fehlprognose abgespeichert, sondern alsbald vergessen. Aus individueller Sicht der Warnenden ist Warnen demnach ohne Risiko. Sind nun aber genügend Pessimisten beisammen, können sie diese Krisen eben auch beschwören oder verschärfen mit dem verheerenden Effekt, dass die Warner recht behielten, was freilich niemand anderem als ihnen selber nützt.

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