Dagegenhalten, mit Anmut und Würde

Geschichtsstunde in der Gegenwart: Von Amerika lernen

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Dagegenhalten, mit Anmut und Würde

Geschichtsstunde in der Gegenwart: Von Amerika lernen

Jahrzehnte galten sie vielen Deutschen als Sehnsuchtsort. Mittlerweile wenden sich immer mehr mit Unverständnis, manche gar mit Abscheu von den Vereinigten Staaten von Amerika ab. Dabei lohnt ein genauer Blick. Denn gerade jetzt gibt es viel zu lernen. Sechs Gedankenanstöße.

1. Damals, vor vier Jahren, als Donald Trump sich immer weiter absetzte in den primaries, dem innerparteilichen Wettstreit der Republikaner um die Präsidentschaftskandidatur, dachten viele Menschen in- und außerhalb Amerikas, dass das Amt, so er es je gewinnen sollte, ihn schon bändigen würde. Auch dann noch, im weiteren Verlauf des Wahlkampfs, verziehen ihm viele die unflätigen Beschimpfungen, seine hasserfüllten Tiraden gegen seine Mitbewerberin, die Bedrohungen von Journalistinnen und Journalisten, die Ausfälle gegen Menschen mit Behinderung. Dachten, das sei Wahlkampfgetöse. Dass sich das schon geben würde. „The office shapes the man.“ Die Welt musste in den vergangenen Jahren bitter lernen, dass Populisten Populisten bleiben, ganz gleich, wo sie ihr Büro haben. Dass Geschäftsleute wie Politiker ihre Menschenverachtung nicht ablegen, nur weil sie einen Amtseid schwören.

2. Es ist nicht egal, wie Politiker über ihre politischen Gegner und Kritiker reden. Wir erleben gerade, mit welcher Langzeitwirkung das verbale Gift, das Trump nun seit vier Jahren über sein Land ausschüttet, die Gesellschaft von innen zersetzt. Durch die kontinuierlichen Verbalattacken des Präsidenten bestimmen Hass, Wut und Verachtung die Gefühle vieler Amerikaner. Worte sind Waffen. Keine Fliegenschisse. Im Umgang mit ihnen kann man nicht streng genug sein. Auch wenn man Gefahr läuft, als verbohrt oder humorlos bezeichnet zu werden.

3. Rassismus tötet. Dabei beginnen auch dort die mörderischen Taten im Kopf. Nachlässigkeit im Kampf gegen Ausgrenzung und Alltagsrassismen dürfen wir uns nicht erlauben. Auch in Deutschland gibt es noch zu viele braune Flecken in wichtigen Institutionen, sind ausländerfeindliche Witze an der Tagesordnung, werden Minderheiten zu Sündenböcken erkoren. Dabei hat jedes Land natürlich seine spezifische Geschichte mit entsprechenden Herausforderungen. Aber keine Gesellschaft ist frei von Rassismus. Wir alle müssen unser Denken und Handeln immer wieder aufs Neue hinterfragen.

4. Ich war vor vier Jahren dabei und habe erlebt, wie Trump seinen Feldzug gegen die bestehenden Institutionen aufsetzte. Wie er seinen Rassismus, seine Frauenverachtung, seine Wut auf das Streben einer funktionierenden Demokratie nach einer möglichst großen Chancengerechtigkeit verpackte als „Kampf gegen die da oben“. Die Eliten. Es muss allen Politikerinnen und Politikern eine Warnung sein, dass diese Form des Populismus am Ende die Grundfeste einer Demokratie angreift.

5. Amerika ist auch auf Selbstzerstörungskurs, weil es keine Räume mehr gibt, in denen Bürgerinnen und Bürger miteinander reden. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mehr in den verbarrikadierten Weltsichten der Social-Media-Realitäten. Auch die traditionellen Medien schaffen es kaum noch, Menschen außerhalb des jeweiligen politischen Spektrums zu erreichen. Diese wütende Abgrenzung öffnet Tür und Tor nicht nur für inländische Verschwörungsfanatiker. Sondern auch ausländischen Kräften, mit so handfesten wie dunklen politischen Absichten.

6. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber ich erwische mich manchmal dabei, wie abgestumpft ich bin, wenn es um den aktuellen Präsidenten der Vereinigten Staaten geht. Was noch vor wenigen Jahren einfach unvorstellbar gewesen wäre, gilt jetzt schon als neue Realität – Ausfälle gegen andere Staatsoberhäupter, Drohungen, Beschimpfungen. Die legendäre Antwort der ehemaligen First Lady Michelle Obama war ein früher Versuch, andere Standards dagegenzusetzen. When they go low, we go high. Auch dabei können die USA eine Warnung sein. Ein respektvoller Umgang ist mehr als Etikette. Er ist die Basis auch für eine wirklich demokratische Meinungsbildung. Damit will ich nicht sagen, dass man nicht auch heftig um das bessere Argument streiten soll. Auch im politischen und medienöffentlichen Raum. Aber auch im schnellen Tweet sollte man einen anständigen Ton wahren. In diesen Tagen und Wochen erleben wir, wohin es führen kann, wenn ein Land den Respekt vor seinen Institutionen und dann am Ende vor sich selbst verliert.

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