Das Einjährige

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Das Einjährige

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

In der Corona-Krise ist der Bildungsgewerkschaft GEW kein Vorschlag zu weit hergeholt.

Diese Woche hat sie mit dem Schnellschuss, die Abiturprüfungen notfalls ausfallen zu lassen, einen medialen Wirbel ausgelöst. Die GEW ist nicht irgendwer, immerhin vertritt sie rund 280 000 in pädagogischen Berufen arbeitende Männer und Frauen von der Kindertagesstätte über die Schulen bis zu den Hochschulen. Man könne statt der Abiturprüfungen die Leistungen aus dem Unterricht zur Grundlage der Notengebung heranziehen, argumentiert sie. Nur hat der seit einem Jahr in normaler Form kaum mehr stattgefunden. Doch so weit wird bei dieser Gewerkschaft nicht gedacht.

Aus der GEW-Forderung wird wohl nichts. Zum Glück. Ein solides Abitur nach einem schwierigen Corona-Jahr soll den Heranwachsenden nicht auch noch genommen werden.

Tief blicken lässt der Vorschlag trotzdem – und zwar darauf, welche Rolle die GEW spielt und wie. Am liebsten wäre ihr gewesen, die Schulen hätten bei einer Inzidenz von über 100 gar nicht erst geöffnet. Stets warnt sie vor der Überforderung der Lehrer, denen auf keinen Fall mehr Stunden zugemutet werden dürften. Sogar die Selbsttests der Kinder und Jugendlichen in Klassenräumen sehen Teile der Gewerkschaft kritisch. Deren Beaufsichtigung sei nicht Teil der „Dienstpflicht“.

Von einer Gewerkschaft ist nicht viel anderes zu erwarten als Klientelpolitik. Ärgerlich ist dabei allerdings, dass die GEW – reichlich unverfroren – stets im Namen der Schülerschaft argumentiert. Und das auch dann noch, wenn sie ausschließlich an die Lehrerinnen und Lehrer denkt. Sie gibt sich als Fürsprecherin für Chancengleichheit, um ihre Legitimationsbasis zu verbreitern. Inzwischen vereinnahmt sie auch noch die Eltern. Für Schülerschaft und Eltern aber hält sie in dieser Krise bisher nichts parat. Im Gegenteil: Wären ihre Vorschläge eins zu eins umgesetzt worden, hätten Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern das Nachsehen gehabt. Die Gewerkschaft hätte sie zugunsten ihrer Klientel einfach im Stich gelassen.

Bei der GEW ist immer viel von Bildungsgerechtigkeit die Rede. Was aber von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer angeboten werden könnte, um die Bildungsrückstände wieder aufzuholen, die die Pandemie vor allem für Kinder und Jugendliche aus bildungsferneren Schichten nach sich zieht, wird man von dieser Gewerkschaft nicht erfahren.

Konstruktive Ideen zur Bewältigung der Corona-Krise, die auch eine Bildungskrise ist, sind ihr gar nicht erst eingefallen. Die Krise, heißt es bei der GEW, mache die Schwächen unseres Bildungssystems einmal mehr offensichtlich. Die Krise fördert allerdings noch anderes zu Tage: dass es nämlich dieser Gewerkschaft bestimmt nicht um die Schülerinnen und Schüler und ihre Chancen und auch nicht um Bildungsgerechtigkeit geht.

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