Revoluzzer oder Rechenschieber

Nervöse Truppe: Welche Rolle die Unionsfraktion in der K-Frage spielt

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PICTURE ALLIANCE/FLASHPIC | JENS KRICK
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Revoluzzer oder Rechenschieber

Nervöse Truppe: Welche Rolle die Unionsfraktion in der K-Frage spielt

Wenn die Unionsfraktion mal unerwartet ihre Macht innerhalb der beiden Parteien zeigt, passiert manchmal Überraschendes, so wie 2018. Damals ignorierte sie den Wunsch der Kanzlerin und damals noch CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und wählte den zu der Zeit in der Öffentlichkeit nahezu unbekannten, aber profilierten Haushaltspolitiker Ralph Brinkhaus zu ihrem Vorsitzenden. Damit entschieden sich die Abgeordneten gegen den loyalen Merkel-Mann Volker Kauder.

Nicht einmal die Mehrheit der sonst so gut informierten Hauptstadtjournalist:innen vor der Tür des Fraktionssaales ahnte, dass Brinkhaus tatsächlich eine Mehrheit bekommen könnte. Damals ging es vor allem um mehr Eigenständigkeit der Abgeordneten von CDU und CSU, etwas Emanzipation von der Kanzlerin. Was mit der Wahl Brinkhaus’ aber auch einherging: Die CDU/CSU-Fraktion hat damit langjährige Machtstrukturen aufgebrochen und das Gleichgewicht ein Stück in ihre Richtung verschoben – wenngleich auch nicht die Revolution folgte.

Nun könnte die Fraktion wieder eine tragende Rolle spielen und über das zukünftige Machtgefüge innerhalb der Union entscheiden. Denn mittlerweile gibt es einige Stimmen, nicht nur aus der zweiten und dritten Reihe, die fordern, dass die Unionsfraktion mindestens mitredet, wenn nicht sogar abstimmt, wer Kanzlerkandidat von CDU und CSU werden soll. „Der Kanzlerkandidat kann nicht im Hinterzimmer oder am Frühstückstisch ausgemacht werden“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jüngst der Bild-Zeitung. Ein Grund dafür dürfte wohl auch sein, dass die Abgeordneten mit bangem Blick auf die Umfragewerte von CDU und CSU schauen.

Der Corona-Bonus ist aufgebraucht, die Union ist Anfang des Jahres innerhalb weniger Wochen unter 30 Prozent gerutscht auf das Niveau von vor rund einem Jahr. Nun wird auch für den Letzten sichtbar, dass dieser Wahlkampf kein Spaziergang wird. In den Wahlkreisen spüren das die Abgeordneten auch. Dort bekommen sie den Unmut der Menschen über die Corona-Politik der Bundesregierung und vor allem der CDU-Minister:innen direkt mit. Entsprechend werden einige nun anfangen zu rechnen: Reicht es noch für den Einzug über die Liste? Kann ich meinen Wahlkreis wieder gewinnen?

Warum also nicht zumindest einen Teil des Schicksals selbst in die Hand nehmen und den Spitzenkandidaten für diese Bundestagswahl mitbestimmen? Sollte es dabei rein nach den aktuellen Umfragewerten gehen, dürfte Markus Söder als Gewinner aus der Abstimmung hervorgehen. Er liegt bislang weit vor Laschet.

Aber Umfragewerte können sich schnell verändern. Entsprechend dürften auch noch andere Kriterien eine Rolle spielen. Nicht zuletzt vor allem für die CDU-Abgeordneten, welche Folgen es für die eigene Partei hat, wenn man der deutlich kleineren Schwester den Vortritt lässt und dem gerade frisch gewählten Parteivorsitzenden signalisiert, dass man ihm das entscheidende Amt nicht zutraut.

Ein Vorteil für den zukünftigen Kanzlerkandidaten: Entscheidet die Fraktion mit, erweckt das zumindest den Eindruck, die Entscheidung wurde nicht nur im Hinterzimmer verhandelt. Und es ist auch die Fraktion, deren Unterstützung ein möglicher Unionskanzler in der kommenden Legislaturperiode braucht.

Aber geht es bei dieser Abstimmung tatsächlich nur um Söder gegen Laschet oder könnte es noch einen Dritten geben, der sich freut, wenn sich zwei streiten? So manch einer bringt auch den Fraktionschef selbst, Brinkhaus, ins Gespräch, der schon 2018 Kampfgeist bewiesen und in den vergangenen Monaten gezeigt hat, dass er durchaus auch eigene Akzente setzen kann, etwa in der Corona-Politik.

Brinkhaus aber winkt ab. Er freue sich, dass man ihn für geeignet halte, „aber das würde ich jetzt wirklich nicht überschätzen. Das ist nett, mehr nicht,“ sagte er in dieser Woche im Deutschlandfunk. Ausgeschlossen ist es natürlich nicht, aber eher unwahrscheinlich. In den Kampf gegen den eigenen Parteichef und gegen Söder wird er sich wohl eher nicht begeben. Auch für die Union wäre das Risiko wohl zu hoch. Dafür ist Brinkhaus doch zu unbekannt, hat zu wenig Regierungserfahrung.

Für den Mann aus Nordrhein-Westfalen dürfte es vielmehr darum gehen, je nach Konstellation, sein bisheriges Amt zu retten. Denn die Union schaut bekannterweise immer auf den Proporz. Wird ein Nordrhein-Westfale Kanzler, der auch noch CDU-Chef ist, mit einem CDU-Generalsekretär, der ebenfalls aus NRW stammt, wird sich die Frage stellen, ob der Fraktionsvorsitzende auch aus diesem Bundesland kommen kann. Und dann ist da ja auch noch der Nordrhein-Westfale Jens Spahn, der seine Karriere auch nicht freiwillig an den Haken hängen wird.

Außerdem wird es Brinhaus’ Aufgabe sein, sollte die Fraktion über den Kanzlerkandidaten tatsächlich abstimmen, den Laden zusammenzuhalten. Vor allem bei einem knappen Ergebnis gilt es, alle mitzunehmen, sonst wird der Wahlkampf für die Union schwieriger, als er ohnehin schon ist.

Einen ersten Hinweis, wohin die Reise für die Union gehen könnte, könnte dieses Wochenende geben: Am Sonntag trifft sich der Vorstand der Unionsfraktion zur Klausur – auch Söder und Laschet werden zu Gast sein. Der Tagesordnungspunkt zum Besuch der beiden lautet „Wie gestalten wir unsere Zukunft?“.

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