Denkpause

Franziskus sendet den Kölner Erzbischof in eine „geistliche Auszeit“. Exerzitien könnte die ganze Kirche gut vertragen

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PA/DPA/OLIVER BERG
Ich bin dann mal weg: Rainer Maria Kardinal Woelki
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Ich bin dann mal weg: Rainer Maria Kardinal Woelki

Denkpause

Franziskus sendet den Kölner Erzbischof in eine „geistliche Auszeit“. Exerzitien könnte die ganze Kirche gut vertragen

Es ist nicht der Showdown, aber doch der nächste Akt im Drama der katholischen Kirche in Deutschland. Papst Franziskus möchte, dass der so sehr in der Kritik stehende Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki im Amt bleibt. Aber er setzt auf eine mehrmonatige Auszeit des 65-jährigen Geistlichen.

Tage vor der Entscheidung hatte die Bild-Zeitung pünktlich zur Fuldaer Bischofskonferenz der deutschen Bischöfe am Montag das Meinungsbild der Deutschen zu Woelki ermittelt. Laut repräsentativer Umfrage wollen 61 Prozent der rund 22,2 Millionen Katholikinnen und Katholiken im Land, dass Franziskus Woelki sofort abberuft. Die Zahl steht nun im Raum.

Der Kölner Kardinal hatte bei seiner ersten und einzigen öffentlichen Wortmeldung während der Fuldaer Tage seinen ganz eigenen Beitrag geleistet. Am Donnerstagmorgen predigte er vor den Mitbrüdern im Dom. Und in Woelkis langsamer, ruhiger Art zu predigen kamen irgendwann die Sätze: „Viele Gerüchte und Spekulationen gehen um. Geredet wurde und wird zu allen Zeiten immer schon viel. Gestimmt hat zumeist nichts, bestenfalls wenig …“

Der Kardinal sprach über eine Passage im Lukasevangelium, über Herodes Antipas und Jesus. Aber es klang nach Woelki über Woelki.

Wechselbörse für Geweihte

Denn Gerüchte gibt es zuhauf in diesen Tagen. In der Woche vor der Vollversammlung der Bischöfe erzählten einige, es stünde eine Rochade zwischen Diözesen an. Unter anderem würde Kardinal Reinhard Marx von München nach Köln wechseln. Genährt wurden solche Spekulationen sicher auch dadurch, dass in dieser Woche dienstags zunächst der Kölner Kardinal, samstags dann sein Münchner Mitbruder im Vatikan mit Papst Franziskus zusammentraf. Und dass Woelki kurz in Rom war, wurde erst später bekannt, sollte also kein demonstratives Zeichen seiner Verbundenheit sein.

Während der Vollversammlung köchelte und kochte dann die Gerüchteküche vor Ort und fand auch medialen Niederschlag. Sollte Woelki am Mittwochmittag zurücktreten? Warum waren seine Berater und Medienmitarbeiter von Köln nach Fulda gereist? Mit dem Münsteraner Bischof Felix Genn stand nun ein anderer Name als Favorit im Raum.

Meisners Männer

Aber warum die ganzen Gerüchte, die Spannung? Die Personalie Woelki ist eine lange Geschichte, die lange Zeit mit der Frage der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch zusammenhing und sich mittlerweile verselbständigt hat. Im Frühjahr hatte das Erzbistum Köln seine lange erwartete Studie zu Missbrauch und Vertuschung im Erzbistum veröffentlicht. Eine wichtige Arbeit, die Jahrzehnte der Vertuschung und Verdrängung, der Bösartigkeit und des Nicht-Ernstnehmens von Opfern entlarvte. Es lag nicht nur an einer Person, nicht nur an Kardinal Joachim Meisner, Erzbischof von 1989 bis 2014.

So zogen drei deutsche Bischöfe Konsequenzen, die in früheren Zeiten mehr oder weniger enge Mitarbeiter Meisners waren. Woelki suspendierte seinen Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (54), der dann auch dem Papst seinen Rücktritt anbot. Weihbischof Ansgar Puff (65), bei dem es lediglich einen Fall eines Pflichtverstoßes gab, ließ sich vorläufig vom Kardinal beurlauben. Und der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55), einst Generalvikar in Köln, bot Papst Franziskus seinen Rücktritt an. Ein Angebot, das dauerte und dauerte. Erst nach 180 Tagen, einer für das Erzbistum Hamburg quälend langen Zeit, teilte Rom mit, dass der Papst den Rücktritt nicht angenommen habe. Heße schrieb den Hamburger Katholiken – ein bemerkenswerter Brief, in dem Opfer und Betroffene weder angesprochen noch erwähnt werden –, er hoffe auf einen Neustart. In Fulda war er schon wieder dabei.

Vermisst: Kölner Kardinaltugenden

Allein für Woelki, einst Geheimsekretär von Kardinal Meisner, gab es keine Konsequenzen. Der 65-Jährige sah sich entlastet und keiner Schuld bewusst. Und bekräftigte, er wolle die Kirche mit Prävention und Änderungen in der Priesterausbildung voranbringen.

Doch vor der Veröffentlichung der Missbrauch-Studie hatte sich im Erzbistum Köln – und eigentlich nicht nur dort – die Empörung über Woelkis Kurs verselbständigt. Rund um Köln findet man leicht Religionslehrer oder -lehrerinnen, die an ihrem Job zweifeln oder verzweifeln. Pfarrer erzählen, dass mittlerweile auch Gläubige aus der katholischen Kirche austräten, die noch vor zwei, drei Jahren sehr engagiert in Gremien mitarbeiteten oder Kinder auf die Feier der Erstkommunion vorbereiteten. Und Mittfünfziger erzählen staunend, dass ihre alten Eltern eines Tages gemeinsam zum Standesamt gezogen seien. Wegen des Kirchenaustritts. Aus Köln wird regelmäßig vermeldet, wie groß der Andrang bei den für den Kirchenaustritt zuständigen Behörden sei. Aber das Phänomen zeigt sich auch in anderen Regionen Deutschlands. Die Rede vom allmählichen Verschwinden der „Volkskirche“ trifft es vielleicht schon nicht mehr und man muss vom „Abbruch der Volkskirche“ sprechen.

Gerüchte und Gerede

Deshalb schickte im Juni der Papst zwei Bischöfe seines Vertrauens nach Köln, die mit vielen, die wollten, über Führung und Führungsstil Woelkis redeten und danach einen Bericht zur Lage dem Papst persönlich übermittelten. Als Woelki am Donnerstag über Gerüchte und Gerede predigte, lag diese Visitation 100 Tage zurück. Und nichts war passiert. Dann, nach 101 Tagen, die römische Entscheidung, die auch eine Nicht-Entscheidung ist.

Und weiter geht’s: Denn die nächste Bewährungsprobe für die deutschen Katholiken steht bereits am ersten Oktober-Wochenende an. Dann tagt in Frankfurt am Main die zweite Vollversammlung des Synodalen Weges. In den ersten Monaten 2019 hatten sich Bischöfe und Laien unter dem Eindruck des Missbrauch-Skandals auf das Projekt verständigt, das dessen Ursachen erörtern und neue Perspektiven aufzeigen sollte.

Seitdem geht es eben auch um heiße Eisen, Klerikalismus und Machtmissbrauch, die Rolle der Frau in der Kirche und ihre Beteiligung am geistlichen Amt, die kirchliche Sexualmoral. All das, was in einer amtskirchlich-theologisch geradezu bleiernen Zeit nicht benannt werden durfte.

Das Gespenst des „Protestantismus“

Ende Januar 2020 fand in Frankfurt das erste Treffen in großer Runde statt. Dann kam Corona. In der neuen virtuellen Welt von Zoom und Teams arbeiteten Teilgruppen eifrig und legten forderungsstarke Papiere vor, um die nun gestritten wird. Schon nach dem ersten Treffen hatte Kardinal Woelki die „strukturierte Debatte“ als „quasi ein protestantisches Kirchenparlament“ beschlossen. Mehr Absage geht eigentlich kaum von einem Kleriker.

Neben Woelki sind es mehrere Bischöfe, die ihr Unbehagen äußern. Auch römische Stimmen warnen immer wieder davor, dass die Perspektive des Synodalen Weges Grundlagen der kirchlichen Lehre und des Kirchenverständnisses ausblenden würde.

Es wird Streit geben in Frankfurt. Streit und vielleicht ein Basta, eine Eskalation. Ein Machtwort der Bischöfe. Das sind katholische Laien seit langem gewohnt. Aber eigentlich waren die Beteiligten angesichts der weltweiten schlimmen Nachrichten zu sexueller Gewalt überzeugt, dass sich vieles ändern müsse. Die Krise, so scheint es, geht weiter. Vielleicht hat sie gerade überhaupt erst so richtig begonnen.

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