Der Code ist eingegeben

Hilft der Digital Services Act, künftig Online-Antisemitismus zu bekämpfen?

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PICTURE ALLIANCE/BLICKWINKEL/H. BOECKLER
Über allen Gipfeln – ist auch keine Ruh‘.
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Über allen Gipfeln – ist auch keine Ruh‘.

Der Code ist eingegeben

Hilft der Digital Services Act, künftig Online-Antisemitismus zu bekämpfen?

Nur ein paar Klicks, und auf den Plattformen der sogenannten sozialen Medien tut sich eine Welt voller antisemitischer verschwörerischer Klischees auf. Alte böse Lügen wie die Hostienschändung oder Holocaustleugnung. Oder sie zeigen Jüdinnen und Juden als Schuldige und Profiteure des Ukrainekriegs. Die Liste der Hetze ist schier endlos. Warum ist dieser Hass online? Warum löschen die Plattformen ihn nicht?

Gerade haben Gunther Jikeli und Katharina Soemer in ihrer Veröffentlichung „Conversations About Jews on Twitter: Recent Developments Since Elon Musk’s Takeover“ vom Institute for the Study of Contemporary Antisemitism an der Indiana University Bloomington beschrieben, wie die Verbreitung von antisemitischem Hass weiter zunimmt. Die Wissenschaftler haben das Jahr 2022 bis zum 6. November analysiert und festgestellt, dass die „Unterhaltungen“ über Juden sich verdoppelt hätten. „Wir haben festgestellt, dass mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk die Tweets über jüdische Menschen einen neuen Höhepunkt erreichten, mit den antisemitischen Stereotypen wie „Juden kontrollieren die Medien und die Welt“, berichten die beiden Wissenschaftler. Tausende antisemtischer Hasstweets gäbe es pro Tag.

Große Hoffnungen, die Hassmaschinerie zu stoppen, liegen auf neuen EU-weiten rechtlichen Regeln, dem Digital Services Act (DSA), dem Gesetz über digitale Dienste. Kernvorschriften des DSA gelten bereits seit dem 16. November 2022. Weitere Teile des Gesetzes treten am dem 17. Februar 2024 in Kraft. Auf Anfrage des Hauptstadtbriefs erklärt das Bundesjustizministerium, man solle den DSA als Fortschritt sehen, da „die EU durch den Digital Services Act künftig mit einer Stimme gegenüber großen sozialen Netzwerken sprechen wird. Die Verbreitung strafbarer Inhalte macht nicht an den Landesgrenzen halt, sodass nur EU-weite Regelungen zum Erfolg führen können.“

Doch Experten von Hass im Netz machen sich wenig Hoffnung, dass mit dem DSA antisemitischer Content aus dem Netz verschwindet. Zwar verpflichte der DSA große Online-Plattformen mit mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern in der EU, Maßnahmen zur Risikominderung gegen illegale Inhalte zu ergreifen, zu denen auch die Geschwindigkeit und Qualität der Bearbeitung von Meldungen über rechtswidrige Inhalte gehört. Doch dabei setze der DSA auf unbestimmte Rechtsbegriffe statt konkrete Fristen, kritisiert Rechtsanwalt Chan-jo Jun. Die bisherige 24-Stunden-Löschpflicht rechtswidriger Hassbotschaften in Deutschland falle mit dem DSA weg, so IT-Rechtsexperte Jun: „Damit ist die zuständige Behörde flexibler bei der Anwendung und Auslegung der jeweiligen Anforderungen. Ob dies zu einer besseren Moderation führt, hängt wiederum davon ab, ob sich die Kommission zu strengeren Maßstäben durchringen kann oder ob die Lobbyisten auch hier wieder die Oberhand gewinnen.“

Bleibt zu hoffen, dass die mit dem DSA künftig geltenden hohen Strafen bei Nicht-Löschung rechtswidrigen Contents als Drohkulisse wirken. Doch nicht jeder Antisemitismus ist rechtswidrig. Die Einstufung eines antisemitischen Inhalts als rechtswidrig kann obendrein von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat abweichen. Immer wieder bewegen sich die antisemitischen Inhalte am Rande der Legalität, sind als Witz oder Cartoon verkleidet oder nutzen Codes. Die Plattformen sind mit dem DSA bei der Bestimmung, was antisemitisch ist, nicht an die von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) verabschiedete internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus gebunden, die wie folgt lautet:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Die Bundesregierung hat obendrein die Erweiterung verabschiedet, dass auch der Staat Israel, „der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein kann“.

Wenn der DSA die IHRA-Definition nicht vorgibt, dann sollen die Plattformen selbst diesen Maßstab anlegen, fordert Kim Robin Stoller vom Internationalen Institut für Bildung, Sozial- und Antisemitismusforschung (IIBSA) in Berlin. Sie ist sich sicher: „Alles, was erlaubt ist, passiert. Nur ein künftiges gutes Regelwerk kann uns schützen.“ Das IIBSA-Institut und weitere 179 zivilgesellschaftliche Organisationen wurden deshalb aktiv und forderten Elon Musk am 16. November in einem offenen Brief auf, die IHRA-Arbeitsdefinition zu übernehmen: „Antisemitismus kann man erst bekämpfen, wenn man ihn zeitgemäß und zutreffend beschreibt und identifiziert“, so Kim Stoller. Außer Musks Tweet nach Veröffentlichung des öffentlichen Appells, „negative/hate tweets will be max deboosted & demonetized“, ist bisher keine weitere Reaktion von Twitter bekannt.

Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, der gerade zusammen mit der maltesischen Regierung jungen Unternehmerinnen und Unternehmern aus Europa für technologische Lösungen, die der Menschheit helfen sollen, den Internet-Preis der CER verliehen hat, fordert weitere Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus im Netz. Das Schwert des Digital Services Act müsse scharf sein, und man müsse es wohl noch weiter schärfen, die Strafen deutlich erhöhen und Netzwerk- und Plattformbetreiber massiv in die Pflicht nehmen, um den Online-Sumpf von Rassisten, Antisemiten und anderen Hatern trockenzulegen, so Goldschmidt. Die Verpflichtung, antisemitische, rassistische oder andere volksverhetzende Inhalte schnell zu löschen, sei eine Farce, es passiere einfach nicht: „Wie das nach Massenentlassungen bei Facebook und Twitter überhaupt noch umgesetzt werden soll, ist mehr als fraglich, vor allem nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Nur der Einsatz von Algorithmen reicht da nicht. Das ist alles Augenwischerei.“ Etwaige Strafzahlungen sollten auch Individuen oder der Gemeinschaft zugutekommen, die durch eine solche Plattform beleidigt oder bedroht worden seien. Bei wiederholten Zuwiderhandlungen fordert Oberrabbiner Goldschmidt, die Blockade (Geoblocking) solcher Plattformen zu erwägen. Im DSA sind diese bisher nicht vorgesehen.

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