Die Ideen des Merz

Letzte Zuckungen der geistig-moralischen Wende – die Union auf der Suche nach sich selbst

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PICTURE ALLIANCE/AP PHOTO
Nicht vergnügungssteuerpflichtig: Friedrich Merz
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Nicht vergnügungssteuerpflichtig: Friedrich Merz

Die Ideen des Merz

Letzte Zuckungen der geistig-moralischen Wende – die Union auf der Suche nach sich selbst

Betrachtet man die Geschichte der CDU über die vergangenen ziemlich genau zwei Jahre, dann muss man feststellen, dass sich die Partei auf eine für ihre Verhältnisse sehr abenteuerliche Reise begeben hat, auf deren frühen Stationen immer wieder Aufbruchsstimmung zu spüren war, auf der danach aber immer wieder die Ausfahrten in Richtung des angestrebten Ziels einer inhaltlich-personellen Erneuerung ohne Machteinbußen verpasst wurden. Stattdessen schrammt sie immer näher am politischen Straßengraben entlang – und zwar kurioserweise ganz ohne Not.

Blicken wir noch einmal zurück: Als Jens Spahn, Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz 2018 auf Regionalkonferenzen durch das Land tourten und in zivilem Streit miteinander um den vakant werdenden CDU-Vorsitz rangen, war das für eine Partei, die nichts so sehr scheut wie den Eindruck der internen Zerrissenheit und sich immer wieder diebisch über die Selbstzerfleischungstendenzen der politischen Konkurrenz freuen konnte, gelinde gesagt ein Wagnis. Doch nicht nur die PR-Profis des Konrad-Adenauer-Hauses zogen zunächst eine positive Bilanz und sahen in diesem riskanten Dreikampf das Potential, nicht nur dem personellen, sondern auch inhaltlichen Erneuerungsprozess der Partei einen wichtigen Impuls geben zu können.

Aber als Kramp-Karrenbauer sich auf dem Hamburger Parteitag nur denkbar knapp gegen Merz durchsetzen konnte, warnten erste Skeptiker bereits, dass sich womöglich keine Erneuerung, sondern gar eine langfristige Spaltung der Partei anbahne. Doch zunächst schien es, als ob die neue Vorsitzende die aufgeworfenen innerparteilichen Gräben wieder zuschütten könne. Die Tragik Kramp-Karrenbauers liegt natürlich nicht darin, dass ihr dies nur begrenzt gelang und sie in der Folge bisweilen unglücklich agierte, sondern dass sie im Gefolge der Thüringen-Affäre die Konsequenzen aus ihrer vermeintlich fehlenden Autorität innerhalb der Partei zog und ankündigte, ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Denn auch wenn Kramp-Karrenbauer glaubte, damit ein persönliches Opfer zum Wohle ihrer Partei zu bringen, stürzte sie diese stattdessen ungewollt in das, was sich mittlerweile zu den schwersten Turbulenzen seit den Tagen der schwarzen Kohl-Kassen ausgeweitet hat.

Man stelle sich nur vor, wie anders die Situation der CDU heute wäre, hätte AKK seinerzeit nur etwas weniger Rückgrat und etwas mehr Willen zum Aussitzen bewiesen: Von Thüringen sprach schon Wochen später niemand mehr in der anbrechenden Corona-Ära, die Partei hätte sich angesichts der dramatischen Krise in guter CDU-Manier fest geschlossen hinter ihrer Vorsitzenden versammelt, und die zukünftige Kanzlerschaft wäre ihr kaum zu nehmen gewesen. Stattdessen taumelt die Partei nun seit vielen Monaten mit einer Lame-Duck-Führung durch dieses turbulente Jahr, und sowohl Funktionäre als auch Basis machen angesichts dieses Vakuums im Vorfeld einer unerbittlich näher rückenden Bundestagswahl einen zusehends aufgekratzten Eindruck. Und das ist das Stichwort, um auf Friedrich Merz zu sprechen zu kommen.

Auch wenn Merz noch im gleichen News-Cycle versuchte, seine Tiraden über Intrigen des Partei-Establishments gegen ihn wieder einzufangen und beteuerte, es gehe „überhaupt nicht um meine Person“, sondern um höchst formale, juristische Erfordernisse – die sich angesichts der neuen Gesetzeslage schnell als gegenstandslos entpuppten: Dort war jemandem erkennbar der Kragen geplatzt. Aber abgesehen von den weit hergeholten Mutmaßungen über die gegen ihn gerichteten Motive hinter der Absage des Parteitags im Dezember hatte er eigentlich nur noch einmal unverblümter in die Kameras und Mikrofone gesagt, wovon er seit zwei Jahren fest überzeugt ist: Die Führungsebene in der CDU will keinen Vorsitzenden Merz – und damit hat er recht.

Denn die einzige Möglichkeit, wie sich die CDU ihre eigentlich sehr günstige Lage im Hinblick auf die kommenden Wahlen noch weiter verhageln könnte, nachdem sie sich schon mit der Hängepartie um die Führung der Partei selbst ins Knie geschossen hat, wäre, Merz zum Parteichef zu machen. Das mag die Parteibasis nicht interessieren, die scheinbar nach wie vor Merz favorisieren würde, aber in den oberen Rängen der Partei ist man sich darüber durchaus im Klaren. Dass Merz sich nun als Kandidat dieser Parteibasis inszeniert, ist keineswegs per se illegitim und macht ihn mitnichten zum „Sauerland-Trump“, wie ihn der Merz lange wohlwollend gesinnte FAZ-Herausgeber Berthold Kohler diese Woche schrieb – auch wenn die Suggestion einer konzertierten Kampagne gegen ihn, inklusive ominösen Whatsapp-Gruppen, schon sehr hanebüchen wirkt.

Die Pointe dieser jüngsten Zuspitzung liegt aber auf einer anderen Ebene: Merz ist einer der letzten verbliebenen CDU-Politiker aus einer Generation, die noch ihre politische Sozialisation in der Ära Kohl durchlief und für die selbst die geistig-moralische Wende nicht schon zur reinen Zeitgeschichte verblasst war. Nicht von ungefähr wirkt er mit seinen inhaltlichen Thesen, aber auch mit seinem ganzen Habitus für viele – jüngere – Beobachter wie aus der Zeit gefallen, ein Überbleibsel aus einer anderen Ära. Und gerade er ist es nun, der wie kaum ein Zweiter in der Parteigeschichte der vergangenen vierzig Jahre die oberste Partei-Devise, die sich über weite Strecken jener Ära als Erfolgsgarant erwies, in den Wind schlägt: Einigkeit First, Inhalte Second – um es einmal in der Diktion von FDP-Wahlplakaten auszudrücken.

Bei der politischen Konkurrenz ist man an solche Parteirevolten gewöhnt, doch eine inhaltlich ohnehin dürftig aufgestellte Christdemokratie, die sich dann auch noch in diverse Lager auseinanderdividiert? – die Reise der CDU könnte in den nächsten Monaten noch einen recht unangenehmen Verlauf nehmen.

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