Es gilt, den Neid zu verteidigen

In der großen Krise mehr denn je – das philosophische Argument für kluge Umverteilung

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Es gilt, den Neid zu verteidigen

In der großen Krise mehr denn je – das philosophische Argument für kluge Umverteilung

Forderungen nach Umverteilung von Reichtum werden oft mit dem Argument erschlagen, es gehe in ihnen nur um den Neid der weniger Begüterten. Wird etwa in Corona-Zeiten verlangt, die Reichen mögen höhere Steuern zahlen, um die anstehende Schuldenlast zu mildern, taucht es schnell wieder auf, das Neidargument.

Dabei sind sich die Kritiker der Umverteilung durchaus darüber im Klaren, dass Neid selten als Neid daherkommt. Weil Neid sozial geächtet ist, muss er sich verstecken oder verkleiden, sodass man ihn erst entdecken und entlarven muss, um ihn dann desto genussvoller anzuprangern. Du willst Gerechtigkeit? Gib doch zu, dass du neidisch bist. Du verlangst Umverteilung? Wie hässlich, du missgönnst den Wohlhabenden, was ihnen zusteht. Du leidest unter großer Ungleichheit? Strenge dich doch an, dann kannst du es auch schaffen, dein Neid lenkt nur ab von deinem eigenen Versagen.

Man muss es einmal deutlich sagen: Die Kritiker des Neids machen es sich zu einfach, es gilt, den Neid zu verteidigen. Das ist wahrlich kein leichtes Unterfangen, denn kaum ein Gefühl wird derart verteufelt wie der Neid. In einem berühmten Fresko Giottos schießt der Neid wie eine Schlange aus dem Mund des Menschen, nur um sich dann gegen ihn zu wenden und ihn von innen zu zerfressen.

Wie also dieses äußerst negative Gefühl verteidigen, wie etwas Gutes an ihm finden? Am Anfang mag ein genauerer Blick auf den Begriff hilfreich sein. Oft reicht es ja, bloß von Neid zu sprechen, und schon ist der angeblich Neidische moralisch diskreditiert. Aber das gehört zu den Vereinfachungen, die echte Diskussionen unterbinden und leere Polemik provozieren.

Wird man überhaupt genauer, heißt es nicht selten, der Neidische wolle einem anderen etwas wegnehmen, um es selbst zu besitzen. Geradezu böse wird dieser Neid, wenn er dem anderen wegnehmen will, was ihm rechtmäßig zusteht. Der Neidische, so sieht es dann aus, befürwortet letztlich eine Form von Diebstahl. Wohl nicht ohne Grund hat Immanuel Kant dem Neidischen Menschenhass zugesprochen, blickt dieser Neidische doch voller Schmerz auf das Wohl des anderen, anstatt sich ohne jeden Vergleich ganz um das eigene Wohl zu kümmern.

Doch Neid will oft gar nicht anderen etwas wegnehmen, um es dann selbst zu besitzen, er will eher auch haben, was der andere hat.

Das ist Neid, kein Zweifel, aber er verliert sofort das negative Framing, das die Neidkritiker ins Feld führen, um den Neidischen der sozialen Missgunst zu überführen und damit irgendwie auch mundtot zu machen. Auch haben zu wollen, was andere haben, kann in den kapitalistischen Konkurrenzgesellschaften, in denen wir leben, keine Ursünde sein, was immer man sonst über diese Gesellschaften denkt. Das liegt auch daran, dass diese Gesellschaften den Vergleich mit anderen auf vielfältige Weise erleichtern und provozieren, jedes Ranking gibt darüber Auskunft. Wie soll der Hang, sich zu vergleichen, der jedem Neid zugrunde liegt, vermieden werden, wenn begehrte Güter knapp sind und gleichzeitig vermittelt wird, man könne durch Anstrengung und Leistung in den Genuss dieser Güter kommen? Dieses System will geradezu, dass wir neidisch werden, sodass dessen Verteufelung wie eine moralistische Heuchelei der Wettbewerbssieger erscheinen muss.

Bedenkt man dann noch, dass die Annahme, es sei durch Leistung und pure Anstrengung möglich, im sozialen Prestige- und Gehaltsgefüge bis ganz nach oben zu klettern, hochgradig zweifelhaft ist, dann taucht etwas auf, das man gar nicht laut zu benennen wagt: das Gespenst des gerechtfertigten Neids. Was, wenn eben doch nicht jeder alle Positionen und Güter erreichen kann? Was wenn die Wege nach oben für viele verschlossen sind, egal, wie sehr sie sich anstrengen und wie viele Bildungstitel sie erlangen?

Die Coronakrise, das dürfte noch deutlich werden, könnte derartige Szenarien gerade für junge Leute verschärfen. Es ist eine Illusion zu glauben, niemand müsse für die jetzt entstehenden Schulden einen Preis entrichten. Wie sollten die, die dann ganz ohne Arbeit bleiben oder außer- und unterhalb ihrer Qualifikationen tätig sein müssen, nicht neidisch werden auf die, die über angemessene Stellen und ein ordentliches Gehalt verfügen?

Verschärft wird damit eine Lage, die ohnehin schon von wachsender Ungleichheit geprägt ist.

Und damit kommt ein Punkt ins Spiel, den die Kritiker der Neidischen gern übersehen, den sozialpsychologische Studien aber mittlerweile recht gut belegen. Selbst wenn man nicht nachweisen könnte, dass große sozioökonomische Ungleichheiten ungerechtfertigt sind, verursachen sie an sich Probleme. Deutliche Ungleichheiten führen nämlich den weniger gut Gestellten immer wieder schmerzhaft vor Augen, wo sie stehen und niemals hinkommen werden. Sie werden auf diese Weise zwangsläufig an ihre Lage erinnert, was ihre ohnehin schon angegriffene Selbstachtung weiter schwächt. Große oder exzessive Ungleichheiten können also ganz unabhängig von der Frage nach ihrer Legitimität Erfahrungen der Demütigung hervorrufen.

Sind diese Überlegungen stimmig, dann richtet sich ein Neid, der den Privilegien der Bessergestellten gilt, nicht primär auf Umverteilungsmaßnahmen, sondern auf eine anständigere Gesellschaft, die exzessive Ungleichheiten nicht zulässt, weil diese Ungleichheiten auf breiter Ebene Gefühle der Ohnmacht, der Wertlosigkeit und eingeschränkter Selbstachtung produzieren und die Bessergestellten übrigens oft moralisch abstumpfen und isolieren. Die Verunglimpfung des Neids ist ein Symptom davon, übersetzt sie doch fröhlich ein oft völlig berechtigtes Gefühl des Unbehagens oder der vergleichenden Benachteiligung in den als bösartig verstandenen Wunsch, anderen wegzunehmen, was ihnen scheinbar zu Recht zukommt. Sie vergrößert damit rhetorisch eine Distanz, die etwa in räumlicher oder schulischer Hinsicht ohnehin schon beträchtlich ist, man denke an gated communities, zunehmend gentrifizierte Stadtviertel oder den wachsenden Markt für Privatschulen. Diese Abschottungsphänomene haben dabei noch den tückischen Effekt, dass sie Vergleiche erschweren. Denn wenn ich nicht einmal sehen kann, was andere haben oder wie sie leben, wird es schwerer fallen, meinen Lebensstil an dem der anderen zu reiben und nach möglichen Wirkungen großer Ungleichheit für das Gemeinwohl zu fragen.

So gesehen kann ein Neid, der auch haben will, was andere haben, oder ihnen sogar etwas nehmen will, weil große Ungleichheit als Gefahr für die gleichberechtigte Teilnahme am demokratischen Gemeinwesen gesehen wird, als Warnsignal dienen.

Natürlich fühlt es sich nicht gut an, neidisch zu sein. Aber das macht das Gefühl nicht schmutzig oder niederträchtig oder gar primitiv. Wer den Neid verunglimpft und dazu auch noch, wie Kant, die Neigung, sich mit anderen zu vergleichen, als Menschenhass tituliert, der will die Demokratie von den unreinen Gefühlen der Wettbewerbsverlierer befreien. Und das hat etwas von Nachtreten, wie man im Fußball sagt, und ist selbst alles andere als guter Stil.

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