Europameister

Von Portugal lernen, heißt – die Pandemie in den Griff zu bekommen? Eine Erfolgsgeschichte ohne Hashtags

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PICTURE ALLIANCE/PACIFIC PRESS | SIMONE KUHLMEY
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Europameister

Von Portugal lernen, heißt – die Pandemie in den Griff zu bekommen? Eine Erfolgsgeschichte ohne Hashtags

Es ist eine Sensation. Portugal vermeldete am Montag, den 26. April, 24 Stunden ohne einen einzigen Covid-19-Toten. Das gab es – so das Gesundheitsministerium in Lissabon – zuletzt am 2. August 2020. Dabei war das Land im äußersten Südwesten der Europäischen Union zu Jahresbeginn der weltweite Pandemie-Hotspot schlechthin. Anfang Februar waren in Portugal mit seinen zehn Millionen Einwohnern an Spitzentagen um die 300 Tote zu beklagen. Hochgerechnet auf die bundesdeutsche Bevölkerung wären dies über 2200 Tote – alle 24 Stunden. Insgesamt verstarben in Portugal seit Beginn der Pandemie 16 974 Menschen (Stand 30.04.2021), mehr als 40 Prozent alleine im ersten Quartal 2021.

Das Rezept für die spektakuläre Erholung der Lage ist einfach: Es war der Mitte Januar beschlossene harte Lockdown. Wie bereits während der ersten Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 wurde die Bewegungsfreiheit der Bürger:innen weitgehend eingeschränkt. Nur Geschäfte zur Grundversorgung blieben offen. Wer konnte, musste zu Hause im Homeoffice arbeiten. Nur Industrie und Großbaustellen waren von den Beschränkungen weitgehend ausgenommen.

Es lohnte sich. Lag die Zahl der Neuinfektionen im Zeitraum von zwei Wochen pro 100 000 Einwohnern Anfang Februar bei über 1400, sind es jetzt laut European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) nur noch 66,8. Damit ist Portugal nun das Land in der EU, das die Covid-19-Pandemie am besten im Griff hat. Deutschland, das sich mit Anti-Covid-19-Maßnahmen schwertut, liegt derzeit bei 346,1 pro 100 000 Einwohner, alle 14 Tage.

Als der Lockdown von der sozialistischen Regierung unter António Costa angeordnet wurde, war die Situation dramatisch. In rund 80 Prozent Portugals herrschte „extremes Ansteckungsrisiko“. Notaufnahmen und Intensivstationen waren völlig überlastet. In einigen Hospitälern ging der Sauerstoff für die Beatmung zur Neige. Patient:innen mussten hin- und hergeflogen werden, um überhaupt noch Betten zu finden. Die deutsche Bundeswehr entsandte Anfang Februar ein Hilfsteam mit 26 medizinischen Fachkräften, darunter acht Ärzt:innen. Sie brachten 40 Beatmungs- und 150 Infusionsgeräte mit und waren bis kurz vor Ostern im Großraum Lissabon im Einsatz.

„Wir Ärzte sind uns einig, dass die hohe Infektionsrate durch das Fehlen von Einschränkungen zu Weihnachten verursacht wurde“, sagt der Sprecher der Ärztekammer, José Miguel Guimaraes. „Wir wurden nicht müde, davor zu warnen, was passieren könnte“, beklagt er sich. Es war vergebens. Die Regierung beschloss, einen Großteil der Beschränkungen aufzuheben, um „Weihnachten zu retten“ – und opferte damit die Gesundheit, des Landes, das bis dahin glimpflich durch die Pandemie gekommen war.

Durch die umfangreiche Bewegungsfreiheit verloren die Gesundheitsbehörden die Kontrolle. Hinzu kamen Familienbesuche der Portugiesen, die im Ausland arbeiten. Viele von ihnen leben in Großbritannien und brachten von dort die neue, aggressivere Virusvariante B.1.1.7 mit. Waren bis dahin vor allem der Großraum Lissabon und der Norden des Landes von der Pandemie betroffen, breitete sich das Virus nun gerade auch in den Landesteilen rasend schnell aus, die bis vor Weihnachten kaum Fälle aufzuweisen hatten und als sicher galten.

Jetzt hat Costa – allem Anschein nach – aus der Weihnachtskatastrophe gelernt. Bevor am vergangenen Freitag angesichts der positiven Zahlen der Ausnahmezustand aufgehoben wurde, verordnete seine Regierung eine kontrollierte Öffnung – „umsichtig und langsam, Stück für Stück …“. Während Kindergärten, Vorschulen und Grundschulen sowie Friseursalons, Bibliotheken und Buchhandlungen bereits Mitte März erneut öffneten, mussten Gartenkneipen, Museen, kleine Geschäfte und Cafés bis Ostermontag warten. Die Mittel- und Oberstufe und Universitäten nahmen am 19. April ihren Betrieb wieder auf, ebenso wie Kinos, Theater und Einkaufszentren. Restaurants dürfen mittlerweile auch wieder öffnen, allerdings mit eingeschränkter Belegung und kürzeren Öffnungszeiten.

Auch wenn seit vergangenem Wochenende die Landgrenze zu Spanien wieder offen ist, hält Portugal an scharfen Bestimmungen für internationale Flüge fest. Wer aus einem Land mit mehr als 150 neuen Fällen alle 14 Tage pro 100 000 Einwohner kommt, darf nur in dringenden Fällen und mit einem negativen PCR-Test einreisen. Wer aus einem Land kommt, in dem mehr als 500 Neuinfektionen gemeldet werden, muss für zwei Wochen in Quarantäne. Zwischen Brasilien und Portugal gibt es keine Flüge mehr, aus Angst vor der dortigen Variante und der völlig außer Kontrolle geratenen Situation in der einstigen portugiesischen Kolonie.

Bisher funktioniert das. Noch sind die Zahlen der festgestellten Infektionen mit der Variante aus Brasilien gering. In Portugal sind laut Gesundheitsministerium 0,4 Prozent der neuen Fälle auf die P.1-Variante aus Brasilien zurückzuführen.

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