Hilfe auf Augenhöhe

Vor dem 20. Juli – über die zu Unrecht ins Vergessen geratene Widerstandsgruppe Onkel Emil

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PRIVATBESITZ FRIEDRICH/HESS (2)
Ruth Andreas-Friedrich, Leo Borchard
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PRIVATBESITZ FRIEDRICH/HESS (2)
Ruth Andreas-Friedrich, Leo Borchard

Hilfe auf Augenhöhe

Vor dem 20. Juli – über die zu Unrecht ins Vergessen geratene Widerstandsgruppe Onkel Emil

Das Datum 20. Juli steht für die Erinnerung, dass Hitler und die Verbrechen des nationalsozialistischen Staates nicht – wie es im Ausland erscheinen musste – von allen Deutschen gebilligt wurden, dass die Diktatur nicht vorbehaltlos von allen hingenommen und bejubelt wurde. Emblematisch ist der 20. Juli 1944, an dem eine kleine Gruppe von Offizieren allzu spät versuchte, den Diktator zu beseitigen, um den Weg frei zu machen für die Beendigung des Krieges und einen Neuanfang, der die deutsche Ehre (so rechtfertigten sie ihre Tat) wiederherstellen sollte.

Die Tat des Grafen Stauffenberg und seiner Freunde konnte, wegen des späten Zeitpunkts, nur noch symbolische Bedeutung haben. Sie scheiterte an eben jenem 20. Juli 1944. Hitler nahm schreckliche Rache, sein Regime radikalisierte sich noch einmal, er herrschte weitere neun Monate und neun Tage bis zum Untergang des „Dritten Reiches“. Trotzdem war der Aufstand der Offiziere nicht vergeblich gewesen. Denn er zeigte, dass wenigstens eine kleine Minderheit, zu der alle gehörten, die sich gegen den Nationalsozialismus engagierten, bereit gewesen war, Widerstand mit allen Konsequenzen zu leisten – in der Erinnerung an Freiheit und Rechtsordnung, Menschenwürde und mit der Vision eines anderen Deutschland als das, welches die Nationalsozialisten mit beispiellosen Verbrechen besudelt hatten. So war Stauffenbergs Tat doch eine notwendige und mehr als eine symbolische Geste gewesen, die als Erinnerung Legitimation stiftete für den Neubeginn nach der Befreiung Deutschlands von außen.

Für den Neubeginn, für die Wiederbegründung von Staatlichkeit war es wichtig, sich durch Vorbilder, die dem Unrechtsstaat die Stirn geboten hatten, zu legitimieren. Der Widerstand bekam früh einen festen Platz in der politischen Erinnerung der Bundesrepublik Deutschland und ebenso in der DDR. Freilich hatten die Bürger der beiden deutschen Staaten, die auf den Trümmern des Deutschen Reiches und belastet vom nationalsozialistischen Erbe gegründet waren, ganz unterschiedliche Bilder vom Widerstand.

Im Westen wurde das Andenken an die Opposition, die konservative Angehörige der militärischen, bürokratischen und politischen Eliten gegen das NS-Regime geleistet hatten, frühzeitig als identitätsstiftend für die Nachkriegsgesellschaft erkannt. Zunächst und lange ausschließlich wurde vor allem die Erinnerung an den Widerstand der Männer des 20. Juli, des Kreisauer Kreises, der Goerdeler-Gruppe, aber auch der Studenten der „Weißen Rose“ und der Militäropposition oder der Diplomaten zum Bestandteil der politischen Kultur der Bundesrepublik. Die DDR legitimierte sich dagegen ausschließlich durch den kommunistischen Widerstand, verehrte Ernst Thälmann und die Herbert-Baum-Gruppe, erwies dem Widerstand der KPD Referenz, setzte der Verweigerung der Arbeiterbewegung die Denkmale.

Georg Elser, der schwäbische Schreinergeselle, der als Einzelner aus Einsicht in das Verbrecherische des Hitlerstaats den Tyrannenmord plante, als die meisten noch jubelten, blieb jahrzehntelang in Ost und West vergessen oder verkannt.

Kaum wahrgenommen wurde auch der Berliner Widerstandskreis „Onkel Emil“, ein Freundeskreis, der Hilfe für verfolgte Juden und damit Widerstand gegen Hitler leistete. Die Gruppe war ab 1938 aktiv, unmittelbaren Anlass bildeten die Novemberpogrome, als Juden Schutz und Hilfe bei Freunden suchten, den sie freilich nur in seltenen Fällen fanden. Die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich, eine impulsive, tatkräftige, lebenslustige Frau Ende dreißig, war Mittelpunkt des Kreises von Menschen, die sich für jüdische Kollegen und Freunde verantwortlich fühlten, aus selbstverständlicher Humanität und tiefer Abneigung gegen Hitler, dessen Partei und Regime. Leo Borchard, Ruths Lebensgefährte, war als Dirigent der Berliner Philharmoniker die prominente und wegen seines Tods im Sommer 1945 auch die tragische Figur des Kreises. Er hatte im Mai 1945 das erste Konzert der Philharmoniker nach dem Krieg geleitet und unermüdlich an der kulturellen Wiedergeburt Berlins gearbeitet, bis er am 23. August 1945 an einem Sektorenübergang versehentlich von einem US-Soldaten erschossen wurde. Die Freunde um Ruth Andreas-Friedrich und Leo Borchard gingen unter dem wenig martialischen Nom de Guerre „Onkel Emil“ in die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus ein.

Die Gruppe, der am Ende etwa 20 Frauen und Männer angehörten, agierte nicht mit den Ritualen von Verschwörern, eher mit jugendbewegter Lust am Abenteuer. Die Hilfe für Juden wurde auf freundschaftlicher Augenhöhe geleistet, das unterscheidet sie von anderen „unbesungenen Helden“, deren Attitüde oft herablassend und patriarchalisch blieb. Das gleichberechtigte Miteinander von Juden und Nichtjuden macht die Gruppe beispiellos in der Geschichte des Widerstands gegen Hitler. Als bürgerliche Intellektuelle lebten sie in früher Erkenntnis des Unheils im Gleichklang mit bedrohten Juden und gefährdeten Deserteuren ihre Abneigung gegen den Nationalsozialismus. Sie hatten keine weltanschaulichen Prämissen und daraus folgende Abgrenzungen, ihnen fehlte die Berührungsangst vor der Arbeiterbewegung, sie standen mit dem Kreisauer Kreis, der „Roten Kapelle“ und Kommunisten in Kontakt. Stärker als ideologische Positionen war das emotionale, ja auch sentimentale Bekenntnis zu bürgerlichen, liberalen und demokratischen Werten und Verhaltensweisen. Das demonstrierten sie zuletzt auch in offener Auflehnung, als sie die Parole „Nein“ der NS-Durchhaltepropaganda entgegensetzten, die sie in nächtlicher Aktion an Berliner Häuser schrieben. Der bescheidene Ruhm der Gruppe wurde durch Ruth Andreas-Friedrichs Tagebuch begründet, das unter dem Titel „Der Schattenmann“ gleich nach dem Krieg erschien.

Heroen und Märtyrer, die als Patrioten ihr Leben im Kampf gegen nationalsozialistische Barbarei opferten, haben Anspruch auf Nachruhm und Dankbarkeit. Sie waren aber nicht allein im Widerstand. Ihnen ebenbürtig sind die „Stillen Helden“, die ihrem Protest gegen das Regime durch Respekt und Menschlichkeit gegenüber den Verfolgten Ausdruck verliehen.

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