Krimineller Klickfang

Wie dubiose bis kriminelle Webseiten und Plattformen mit herkömmlicher Online-Werbung reich werden

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PICTURE ALLIANCE | CHROMORANGE/RALPH PETERS
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Krimineller Klickfang

Wie dubiose bis kriminelle Webseiten und Plattformen mit herkömmlicher Online-Werbung reich werden

Ob Online-Werbung für True-Wireless-Kopfhörer von Panasonic, einen Privatkredit der Postbank, Besteck von WMF oder grüner Strom von eprimo, die Werbebanner dieser Firmen prangen breit auf illegalen Webseiten. Davon wissen diese Firmen nichts. Doch die Werbefinanzierung illegaler und dubioser Plattformen ist ein riesiges Geschäft. Kriminelle weltweit verdienen damit 1,34 Milliarden US-Dollar allein auf den 6000 Top-Piraterie-Seiten im Internet, wie Experten berechneten.

Führend im illegalen Business mit Online-Werbung sind derzeit Portale im Netz, die im Musik- und Filmbereich Urheberrechte verletzen. Das Muster ist immer das gleiche: Werbebanner legaler Firmen landen auf dubiosen Webseiten. Klickt ein Besucher beispielsweise einer illegalen Streaming-Download-Webseite auf das Werbebanner, fließt Geld an die Betreiber der Seite.

SIPI-ip, Asiens führende Online-Markenschutzfirma hat in einer Stichprobe für den Hauptstadtbrief bereits mehr als 20 Fälle betroffener deutscher Firmen aufgespürt – aus verschiedenen Branchen, bekannte und weniger bekannte Marken. „Badvertising“ – also „bad advertising“ nennen die Experten von SIPI-ip das Phänomen. Sie haben genau analysiert, welche Werbefirmen in den Beispielsfällen jeweils genutzt wurden und auf welchen Webseiten die Online-Werbungen gelandet sind. Bharat Kapoor, CEO von SIPI-ip: „Kriminelle verdienen hier viel Geld. Es ist, als ob Kleinstbeträge einer 455 Milliarden Dollar schweren Industrie gestohlen würden. Das wird oft, bewusst oder unbewusst, nicht zur Kenntnis genommen. Bei nur 0,5 Prozent der Online-Werbung, die auf illegalen oder dubiosen Webseiten platziert wird, verdienen Kriminelle 2,2 Mrd. Dollar.“

Auch das britische Technologieunternehmen White Bullet spürt illegale Online-Webseiten und deren Betreiber auf und dreht ihnen den Geldhahn zu. Dazu, so erklärt White-Bullet-Chef Peter Szyszko im Gespräch mit dem Hauptstadtbrief, setze die Firma Künstliche Intelligenz ein: „Wir überwachen täglich etwa zwei Milliarden Werbeanzeigen. Live verfolgen wir, wie sie auf Piraterie-Seiten aufpoppen. Wir schauen uns dann die Seite genau an, und wenn wir die Verletzung geistigen Eigentums feststellen, setzen wir einen Prozess in Gang, um die Werbung zu stoppen.“ Diesen Service stellt White Bullet Markeninhabern, Werbetechnologieunternehmen, aber auch Regierungen und Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung, genauso wie SIPI-it.

Der Hauptstadtbrief hat einige Firmen darüber informiert, dass ihre Werbung auf illegalen und dubiosen Seiten auftaucht. Große Online-Werbeanbieter, wie etwa Google AdSense, haben die Platzierung der Anzeigen möglicherweise nicht vollständig im Griff. Die Recherchen zeigen, dass Online-Werbung, die über das Netzwerk von Google AdSense platziert wurde, in den vorliegenden Beispielfällen auf illegalen Seiten aufpoppte. Eine Anfrage dazu ließ der Konzern bisher unbeantwortet.

Den betroffenen Firmen ist beileibe nicht egal, wo ihre Anzeigen landen. Zum einen erwecken die Anzeigen bekannter Markenfirmen den Anschein, die illegalen Webseiten seien legal. Viel schlimmer noch:„Legale Unternehmen finanzieren Kriminelle, das ist ein Skandal“, so Peter Szyszko von White Bullet. Es fließe über einer Milliarde Euro von Firmen direkt in kriminelle Netzwerke – pro Jahr! „Wenn Marken so viel Geld ausgeben würden, um kriminelle Geschäfte zu finanzieren, die Drogen verkaufen, würde es einen Aufschrei geben“, so Peter Szyszko. Eigentlich sei es das Gleiche. Doch der Aufschrei bleibe aus.

Auch die Anzeige der Münchner Firma Knuspr.de, ein Lebensmitteldienst, der sich „Supermarkt & Hofladen auf einen Klick“ nennt, befindet sich auf einer illegalen Webseite. Dies sei nicht beauftragt, teilt die Firma auf Anfrage mit, wie die Anzeige dort gelandet sei, könne man sich nicht erklären. „Wir möchten uns ganz deutlich von einer Schaltung einer Anzeige in diesem Kontext distanzieren.“ Man buche diese Seiten nicht einzeln, sondern die Banner würden über das Google Network ausgespielt. Knuspr.de wartet auf Antwort von Google, wie die Anzeige auf der Piraterie-Webseite landen konnte, erklärt knuspr.de dem Hauptstadtbrief. Auch die Firma SIXT zeigt sich überrascht über ihre Anzeige in dubiosem Umfeld. Für die Firma stehe fest, dass „wir unsere Werbung nicht in einem kritischen Umfeld sehen wollen, dies berücksichtigen wir selbstverständlich bei der Buchung von Werbeplätzen. Wir arbeiten mit globalen Medienpartnern zusammen, die unsere Werbeplatzierungen in ihrem kuratierten Netzwerk nach unseren Kriterien ausspielen. Diese Werbepartner verpflichten sich, ihr globales Netzwerk nach kritischen Inhalten zu filtern, wir nehmen hier keine manuellen Platzierungen vor.“

Bharat Kapoor von SIPI-it erläutert, warum das Bad Business funktioniert. Betrugsanfällig sei das sogenannte Programmatic Advertising, das automatisierte Verteilen der Werbebanner. Werbefirmen würden beim Programmatic Advertising oft nicht prüfen, wer alles in der Kette vom Online-Werbebanner am Kauf und Verkauf mitverdienen würde. „Es ist ein Gebot- und Verkaufsverfahren. Das ist wie eine digitale Börse für Online-Werbung. Eine ausreichende „Due Diligence“ (Prüfung der Beteiligten, Anmerkung d. Redaktion), findet oft nicht statt.“

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW, der Spitzenverband der Werbewirtschaft in Deutschland, teilt mit: „Praktisch nehmen Werbungtreibende, wenn es zu solchen Schaltungen kommt, in der Regel die Werbung schnell und effektiv auf entsprechende Hinweise zurück. Aus nachvollziehbaren Gründen reagieren insbesondere Marken („Brand Safety“) hier sehr sensibel. Blacklists sowie Compliance-Tools auf der Angebots- wie auch Nachfrageseite sind etabliert, die Fehlschaltungen verhindern. Angesichts der Komplexität der digitalen Werbewertschöpfungskette mit unterschiedlichsten Werbungtreibenden auf der einen wie auch der Entwicklungen im Pirateriesektor auf der anderen Seite hat dies aber nicht dazu geführt, dass solche Fehlschaltungen nirgends mehr zu beobachten sind. Auch deshalb haben sich seit 2018 auf EU-Ebene strukturierte Formen der Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten zur Demonetarisierung von Piratieangeboten herausgebildet, die über den Einsatz von Listen auf individueller Ebene hinausgehen. Sie sind laut Kommission erfolgreich und werden fortgeführt.“

Die EU-Kommission hat im Juli dieses Jahres eine Studie veröffentlicht, die sich unter anderem mit den Einkünften von Webseitenbetreibern, die Urheberrechte verletzen, beschäftigt. White Bullet hat im Auftrag der EU ein AD Monitoring durchgeführt für 19 EU-Länder. Es wurden 8143 Webseiten überprüft, die Rechte verletzen. Davon waren 59 Prozent illegal, 41 Prozent galten als Hochrisikoseiten. 8345 Zwischenhändler von Online-Werbung wurden identifiziert. Deutschland wies nach Frankreich die zweitmeisten Werbebanner auf den überprüften illegalen oder Hochrisikoseiten auf. In einem Memorandum of Understanding (MoU) verständigten sich die Unterzeichner aus der Werbewirtschaft, die Schäden zu minimieren.

Großbritannien geht einen anderen Weg. Dort verfolgt die Police Intellectual Property Crime Unit (PIPCU), eine eigene Abteilung der London Police, Rechtsverletzter und ihr Geschäft mit Online-Werbung. In Deutschland gibt es keine eigens für diese Form der Kriminalität zuständige Behörde. Das Geschäft mit Werbebannern auf illegalen Websites wird international unterschätzt, heißt es in Londoner Polizeikreisen.

Volker Rieck, Geschäftsführer von File Defense Service (FDS), bietet seit zehn Jahren sogenannte Content-Protection-Dienstleistungen an. Er kritisiert, Deutschland habe das Problem keineswegs in Griff: „In der Piraterie gibt es nur noch sehr wenig Monetarisierung über direkte Zahlungen. Diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile gibt es andere Wege, wie solche Seiten Geld verdienen. Werbung ist eine davon.“

Eine behördliche Anlaufstelle aus einem Guss gibt es weder auf EU-Ebene noch auf nationaler Ebene. Zwar gab es den Versuch, das Problem zwischen Rechteinhabern und der Werbewirtschaft mittels einer Schiedsstelle zu lösen, die Blacklists bereithalten könnte. Doch das ist am deutschen Kartellrecht gescheitert. Für diesen Zweck, so fordert Volker Rieck, sollte ein Kartell erlaubt werden. Sein Fazit ist ernüchternd: „Grundsätzlich hat die Bundesregierung, aber auch die EU es bis heute nicht begriffen, bei Beteiligten an Geschäften im Internet das Thema Verantwortung zu definieren. Es wurden verantwortungsfreie Räume geschaffen. Das Resultat davon, der digitale Fallout, bringt immense wirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden.“ Volker Rieck fordert die Politik dazu auf, genauso wie in der analogen Welt Haftungsregime zu schaffen.

Die neue Bundesregierung sollte das Problem zügig angehen und nicht zusehen, wie Kriminelle Gewinne mittels Werbung legaler Firmen machen.

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