Politik der Hoffnung

Kolumne | Direktnachricht

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Politik der Hoffnung

Kolumne | Direktnachricht

Wäre Corona eine deutsche Fernsehserie, würde ein „Was zuvor geschah“ zum wiederholten Male erschütternd ausfallen. Ein solches Intro würde nämlich zeigen, wie erst vor wenigen Wochen kostenlose Tests abgeschafft und Impfzentren geschlossen werden, die Maskenpflicht in Schulen zum Teil aufgehoben wird und Großveranstaltungen zum Karneval selbst bei steigendem Infektionsgeschehen problemlos stattfinden. Im Hintergrund wedeln indessen Expert_innen verzweifelt mit ihren Modellierungen und ringen um Aufmerksamkeit.

Fakt ist: Die vierte Episode verantwortungsloser Corona-Politik verursacht eine unfassbare Welle an Infizierten und Toten, die es eigentlich nicht geben müsste. Jeden Tag prasseln neue Höchstwerte seit Beginn der Pandemie auf uns ein, und die Zahlen klettern dermaßen, dass man mittlerweile aus Selbstschutz geradezu jeden Bezug zu ihnen verlieren muss. Begleitet wird das Ganze von Hiobsbotschaften aus den überlasteten Krankenhäusern.

Währenddessen müssen wir uns anhören, wie eben jene Politiker_innen, die gerade noch Schutzmaßnahmen und Infrastruktur abbauten, jetzt so tun, als hätten sie alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Haben diese Politiker_innen eigentlich auf dem Schirm, bei wie vielen Leuten das letzte bisschen politisches Vertrauen gerade zerbröselt wie ein trockener Weihnachtskeks? Eine Pandemie ist eben nicht vorbei, nur weil im Sommer die Infektionszahlen temporär sinken. Das hätte man allein aus dem vergangenen Jahr lernen können. Oder indem man auf Expert_innen hört und direkt handelt.

Der Impfstoff ist nach wie vor der beste Schutz gegen einen schweren Covid-19-Verlauf. Im Vergleich zum vorigen Jahr haben wir ihn jetzt. Die Impfangebote müssen allerdings noch zugänglicher werden. Zum Beispiel durch impfende Apotheker_innen und eine umfassende, weitverbreitete Informationskampagne in leichter Sprache bis Farsi. Um vor dem Virus und den Auswirkungen der Pandemie geschützt zu sein, braucht es aber einiges mehr. Wo ist die dringend nötige Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich? Wo sind die ebenfalls bezahlten Erholungsauszeiten, die unkompliziert bewilligt werden? Wo ist die politische Task Force, um das psychische Wohlbefinden zu stärken und das Therapieangebot auszubauen? Wo sind die zusätzlichen Maßnahmen zum Gewaltschutz?

Weitermachen müssen, obwohl keine Kraft mehr da ist. Irgendwie durchkommen, ohne eine Ahnung, wie das funktionieren soll. So geht es gerade und im zweiten Jahr Corona viel zu vielen Menschen. Es ist längst Zeit, dass in dieser Pandemie nicht auf die querdenkenden Lauten gehört, sondern sich an den Schwächsten orientiert wird. Oft haben sie sich so sehr eingeschränkt und zurücknehmen müssen, dass bereits jede Energie fehlt, um ihre Stimmen jetzt noch zu erheben. Mütter, Kinder, Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung, Risikopatient_innen, Wohnungslose, alle in prekären und gewaltvollen Lebensverhältnissen … The list goes on. Was ist mit ihren Sorgen, ihren Ängsten, ihrer Freiheit? Sie – wir alle – brauchen eine Politik der Hoffnung, die nicht nur kurzfristig reagiert, sondern endlich fürsorglich plant.

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