Recht(s)ruck

Mit Augenmaß und Konsequenz: Was der Staat gegen rechte Richter und Staatsanwälte tun kann – und tun sollte

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PICTURE ALLIANCE/DPA | ULI DECK
Revision: Im Sommer dieses Jahrs gab C.H. Beck bekannt, seine wichtigsten juristischen Standardwerke nicht länger nach den Juristen zu benennen, die während der NS-Diktatur „eine aktive Rolle eingenommen haben“. Die Gesetzessammlung „Schönfelder“ wird künftig vom Vorsitzenden der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages Mathias Habersack herausgegeben.
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Revision: Im Sommer dieses Jahrs gab C.H. Beck bekannt, seine wichtigsten juristischen Standardwerke nicht länger nach den Juristen zu benennen, die während der NS-Diktatur „eine aktive Rolle eingenommen haben“. Die Gesetzessammlung „Schönfelder“ wird künftig vom Vorsitzenden der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages Mathias Habersack herausgegeben.

Recht(s)ruck

Mit Augenmaß und Konsequenz: Was der Staat gegen rechte Richter und Staatsanwälte tun kann – und tun sollte

Die Umfrage bei den Landesjustizverwaltungen, Gespräche mit Gerichtspräsidenten, Richtern, Staatsanwälten und Richtervereinen vermitteln einen bestimmenden Eindruck: Beim Umgang mit rechten und rechtsextremen Richtern und Staatsanwälten fehlt bisher ein Kompass – auf der präventiven wie reaktiven Ebene.

Rechte und rechtsextreme Robenträger sind in der Justiz bisher ein Randphänomen. Noch. Es gibt zwei Problemzonen zum Nachdenken.

Da sind einmal die Einzelfälle. Bei ihnen ist mit guten Argumenten auch die Meinung zu vertreten, dass Einzelfälle keine dunklen Schatten auf die Dritte Gewalt insgesamt werfen und die Problemfälle mit Wachsamkeit und höherer Sensibilität einzudeichen sind. Dass rechte Richter und Staatsanwälte in der Justiz arbeiten, sei nichts anderes als ein Spiegelbild unserer Gesellschaft und deshalb kein Grund zur Beunruhigung. Ja, man könne das Argument sogar positiv wenden und behaupten, dass die Mitwirkung rechter Robenträger sogar die Akzeptanz der Justiz erhöhen könne, weil sie den rechten Rand des Meinungsspektrums in die Rechtsprechung integrieren und ihm Geltung verschaffen.

Das wäre jedoch der falsche Weg. Einzelfälle rechtslastiger Ermittlungen und Entscheidungen bergen immer die Gefahr, relativiert und verharmlost zu werden. Sie haben sich bereits negativ auf das Vertrauen in die Justiz ausgewirkt und werden weiter Spuren hinterlassen.

Gefährlicher ist zweite Problemzone: das institutionelle Versagen der Justiz bei der Nicht-Verfolgung antisemitischer Propaganda rechtsextremistischer Parteien im Europawahlkampf 2019 und der Kampf einzelner Amtsrichter und des „Netzwerks Kritischer Richter und Staatsanwälte“ gegen einen Teil der staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen mit einer politischen Agenda bis an die Grenze der Rechtsbeugung.

Wir begegnen dort zwei sehr unterschiedlichen Phänomenen. Die Nicht-Verfolgung antisemitischer Wahlpropaganda von rechtsextremistischen Parteien wurzelt nicht unbedingt in rechten oder rechtspopulistischen Haltungen der Justizdiener. Sie entspringt vielmehr positivistischem Rechtsdenken alter Schule bei Richtern und Staatsanwälten – ohne Gespür für die Betroffenheit jüdischer Mitbürger und ohne historische Verantwortung. Bei den Corona-kritischen Urteilen und Beschlüssen von Amtsrichtern und dem Selbstverständnis des „Netzwerks Kritischer Richter und Staatsanwälte“ erleben wir eine bisher unbekannte offene Politisierung der Rechtsprechung mit einem diffusen Hintergrund zwischen Querdenkern und AfD-Programmen.

Auf diese neuen Herausforderungen ist unsere Justiz nicht vorbereitet. Sie hat sich noch nicht ernsthaft mit der Frage beschäftigt, wie Justizdiener mit AfD-Flügel- oder NPD-Gesinnung in die Justiz gelangen konnten. Bei der Rekrutierung neuer Richter und Staatsanwälte hat die Justiz bisher übersehen oder verdrängt, dass es in unserer Bevölkerung inzwischen erhebliche Potentiale rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Einstellungen gibt, unter denen sich auch Interessenten für die Ämter eines Staatsanwalts oder Richters finden könnten. Nach der Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung „Verlorene Mitte – feindselige Zustände“ hatten 2018/19 2,4 Prozent der Bundesbürger rechtsextreme Einstellungen, nach der Leipziger-Mitte-Studie 6 Prozent. Nach der Umfrage der Bertelsmann Stiftung „Rechtsextreme Einstellungen der Wähler:innen vor der Bundestagswahl 2021“ leben knapp 8 Prozent der Wahlberechtigten mit einem „geschlossen rechtsextremen Weltbild“. Das Populismus­barometer 2020 der Bertelsmann Stiftung registriert einen Anteil von 21 Prozent populistischer Einstellungen unter den Bundesbürgern. Es ist daher kein Wunder, dass sich diese politischen Haltungen schon heute in der Rechtsfindung vor allem im Straf-, Asyl-, Familien- und Verwaltungsrecht abbilden – meist im Zusammenhang mit der Zuwanderung seit 2015 und der Corona-Pandemie.

Aufgrund dieser rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Potentiale sollte die Justiz bei der Auswahl von Juristen stärker als bisher das Internet als Informationsquelle nutzen und insbesondere die Regelanfrage nach dem Vorbild Mecklenburg-Vorpommerns in allen Bundesländern einführen. Drei Argumente sprechen für die Regelanfrage: Unsere Geschichte fordert eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber rechtsextremen Bestrebungen. Ein Blick in die Welt zeigt, dass wir national wie international in der überschaubaren Zukunft weiter mit starken rechtspopulistischen Parteien mit demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Unterströmungen rechnen müssen. Und: Auch Einzelfälle rechtslastiger Amtsführung sowie AfD-Propaganda im Internet und in der politischen Arena rechter Robenträger schaden dem Ansehen und der Neutralität der Justiz erheblich. Sind solche Juristen erst einmal im Dienst, ist es sehr schwer, sie wieder zu entlassen. Deshalb: Wehret den Anfängen!

Justizpolitisch bedeutsam ist eine Gruppe von Richtern und Staatsanwälten, die in positivistischer Tradition die gesellschaftlichen und politischen Folgen ihrer Entscheidungen nicht mitdenken und dadurch den Eindruck rechtslastiger Amtsführung erwecken oder stärken. Bei diesen Entscheidungen bleibt unklar, ob sie von politischer Gleichgültigkeit, historischem Desinteresse, Konfliktscheu, Arbeitsvermeidung oder rechtspopulistischem Gedankengut gespeist sind. Um den Eindruck von Rechtslastigkeit zu vermeiden, sollte die Justiz künftig in Verfahren mit politischem Hintergrund wacher, sensibler und geschichtsbewusster agieren. In vielen Rechtsvorschriften gibt es Auslegungsräume, in die eine oder andere Richtung zu entscheiden, ohne den Kanon der Auslegungsregeln zu verlassen.

Und Justizministerien wie Justiz sollten intensiver als bisher darüber nachdenken, welche Rolle und Verantwortung die Dritte Gewalt bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus übernehmen will beziehungsweise soll. Ein Vorbild ist dort die Einrichtung von Antisemitismus­beauftragten bei den Generalstaatsanwaltschaften in einigen Bundesländern.

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