Rohrkrepierer

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

17
07
17
07

Rohrkrepierer

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Ende kommender Woche wird es ernst. Dann nämlich wird sich zeigen, ob die vorgeblich notwendige technische Wartung der Gaspipeline Nord Stream 1 nicht doch viel mehr eine politische ist, ob also Russland die Gaslieferungen bis auf weiteres tatsächlich einstellt. Über die wirtschaftlichen Folgen eines verlängerten russischen Gasembargos wird viel diskutiert. Sie werden in jedem Fall spürbar sein, wie heftig allerdings, das ist umstritten.

Vergleicht man den politischen Diskurs heute mit jenem zu Beginn des Krieges, als sich Deutschland noch souverän wähnte, über ein komplettes Einfuhrverbot von Öl und Gas aus Russland zu debattieren, so haben sich die Verhältnisse heute ins Gegenteil verkehrt. Putin hat Europa den Energiehebel längst entrissen, ist seinerseits mit einer drastischen Reduktion von Gaslieferungen in die Offensive gegangen und demonstriert dem Westen damit seine Überlegenheit. Er kann sich diese Aktion vor allem deshalb leisten, weil eine geschickte Verknappung der Liefermengen eine Preisexplosion zur Folge hatte und noch hat, die den Mengenrückgang überkompensiert. An diesen offensichtlichen Zusammenhang aber hatte hierzulande zu Beginn des Krieges kaum einer gedacht. Schon gar nicht hatte man erwartet, dass Russland zur Jahresmitte einen Haushaltsüberschuss aufweisen würde. Dass es sich aufgrund der Sanktionen derzeit an den internationalen Finanzmärkten kein Geld leihen kann, spürt das Land deshalb nicht. Mehr noch: Das von der EU beschlossene Ölembargo als Kernbestandteil des sechsten Sanktionspaketes beginnt erst Anfang des kommenden Jahres. Die Erwartungen aber haben die Preise längst in die Höhe getrieben. Somit wirkt diese Sanktionsmaßnahme bisher kontraproduktiv und trägt ihrerseits zur derzeitigen Devisenschwemme Russlands und zur desolaten Energieversorgungslage hierzulande bei.

Die Absurdität der Situation ist kaum zu überbieten: Vor allem Deutschland ächzt unter den hohen Energiepreisen und finanziert über just diese Entwicklung den Krieg erheblich mit. Das ist die erste bittere Lektion.

Die zweite Lektion ist grundsätzlicher Natur: Zwar kann Russland mit den Devisen zumindest in der westlichen Welt derzeit nicht viel anfangen. Denn es gibt ja noch fünf weitere Sanktionspakete. Doch haben auch diese ihre Wirkung bisher komplett verfehlt. In Moskau sieht man kaum leere Regale. Und der Lebensstandard des Gros der russischen Bevölkerung ist zu niedrig, als dass Sanktionen diesen stark beeinträchtigen würden. So muss Europa schmerzhaft lernen, wie wenig wirksam wirtschaftliche Sanktionen tatsächlich sind.

Das wiederum ist alles andere als neu. Wissenschaftliche Analysen ökonomischer Auswirkungen von Sanktionen im Laufe der Geschichte bis hin zur Annexion der Krim 2014 förderten bisher ausschließlich Ernüchterndes zu Tage: Derartige Maßnahmen sind nicht nur wirkungslos, sondern erzeugen beim Gegenüber darüber hinaus auch noch eine Art Wagenburgmentalität. Bedrückend und tragisch ist das alles, denn so wie es aussieht, trägt der Westen trotz aller verzweifelter Bemühungen, Russland unter Druck zu setzen, eher dazu bei, dass Putin seinen grauenvollen Angriffskrieg noch lange führen kann.

Weitere Artikel dieser Ausgabe