Schule des Lebens

Der Dienst für die Allgemeinheit ist nötiger denn je. Staat und Gesellschaft sind eine Gemeinschaftsleistung

11
07
FELIX KÄSTLE/DPA Essen auf Rädern erleichtert Alltag auch zur Coronazeit
11
07
FELIX KÄSTLE/DPA Essen auf Rädern erleichtert Alltag auch zur Coronazeit

Schule des Lebens

Der Dienst für die Allgemeinheit ist nötiger denn je. Staat und Gesellschaft sind eine Gemeinschaftsleistung

Neun Jahre nach ihrer Aussetzung ist die Wehrpflicht wieder zurück – in der politischen Debatte und mit neuen weiterführenden Vorschlägen zu einer Dienstpflicht. Die Diskussion darüber lohnt sich, aber sie sollte nicht zu kurz greifen. Das Ziel muss vor allem sein, unsere Demokratie und Gesellschaft gegenüber globalen Multi-Risiken widerstandsfähiger zu machen und ihre Integrität zu stärken – eine gleichberechtigte Dienstpflicht für Frauen und Männer kann dabei helfen.

Der überraschende Anstoß für eine Neuauflage der Wehrpflicht kam am vergangenen Wochenende von der neuen Wehrbeauftragten Eva Högl – und stieß umgehend und überwiegend auf Ablehnung. Kurz darauf folgte die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Vorschlag, einen Freiwilligendienst bei der Bundeswehr mit dem Motto „Dein Jahr für Deutschland“ zu etablieren und anstelle der Wehrpflicht gar über eine allgemeine Dienstpflicht nachzudenken – eben nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch im zivilen.

Man hätte es einfacher haben können: Hätte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Wehrpflicht 2011 nicht abgeschafft, sondern in ein gesellschaftliches Pflichtjahr für alle überführt, wären wir heute in vielerlei Hinsicht einen Schritt weiter. Leider wurde die Chance nicht ergriffen, gesellschaftliches Engagement, ob nun militärisch oder zivil, zu einem Teil der Ausbildung junger Menschen zu machen und so die Bindungskraft der Gesellschaft wieder zu stärken. Die unselige Mode dieser Tage, dass Feuerwehrleute, Polizisten und Minderheiten auf offener Straße attackiert werden oder digitale Wutbürger aus den Schützengräben der sozialen Medien Salven des Hasses abfeuern, lässt erahnen, dass unserer Gesellschaft ein integratives und identitätsstiftendes Gemeinschaftserlebnis guttun würde.

Eine Aufwertung des Dienstes für die Allgemeinheit ist heute nötiger denn je, um aufzuzeigen, dass Staat und Gesellschaft kein abstraktes Konstrukt sind, sondern eine Gemeinschaftsleistung. Das sollte auch eine Lehre aus der Corona-Pandemie sein, die schonungslos offenbart hat, wo die Sollbruchstellen eben jenes Staates und seiner Gesellschaft liegen. Corona hat auch gezeigt, dass weder das vorhandene Personal zur Bewältigung größerer Krisen, etwa im Gesundheitswesen oder Katastrophenschutz ausreicht, noch das Ehrenamt und freiwillige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern eine sichere Bank ist.

Wenn wir unsere Integrität und Souveränität bewahren wollen, muss allgemein die Daseinsvorsorge neu gedacht werden: Eine Gesellschaft, die mit den Herausforderungen des Klimawandels, wachsenden geopolitischen Risiken, Demographie und sozialer Gerechtigkeit konfrontiert ist, braucht Menschen mit Kompetenz im Krisenmanagement. Junge Frauen und Männer könnten nach ihrer Schulzeit Erfahrungen sammeln, sei es in medizinischen und sozialen Bereichen, Entwicklungshilfe, Integration, Katastrophenmanagement oder im Umweltschutz. Für viele junge Menschen wäre dies der erste Kontakt mit der Realität des Alltags, wie er in einer digitalisierten Gesellschaft immer weniger vermittelt wird. Und ja, dies mag auch die bessere Schule fürs Leben sein als ein erlebnisorientiertes Work-and-Travel-Jahr in Australien. Die Dienstpflicht, deren Erfolg freilich von einer attraktiven Gestaltung des Pflichtjahrs abhängt, würde dazu beitragen, unsere Gesellschaft resilienter gegen äußere Einflüsse zu machen und zukunftsfest aufzustellen.

Dass sich auch eine Mehrheit der Deutschen für eine Dienstpflicht ausspricht, zeigt, dass Freiheit und Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaat keine Selbstverständlichkeit sind, sondern als Gemeinschaftsleistung begriffen werden, die immer wieder aufs Neue und in Zukunft vielleicht noch entschiedener verteidigt werden muss. Frei nach John F. Kennedy: Frag‘ nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.

Weitere Artikel dieser Ausgabe