Wer sich zu spät umstellt, den bestrafen die Erde und der Markt

Ökonomie und Ökologie – Netto-Null-Emissionen sind ein geschäftlicher Vorteil für Unternehmen

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SHUTTERSTOCK.DE/PETOVARGA
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Wer sich zu spät umstellt, den bestrafen die Erde und der Markt

Ökonomie und Ökologie – Netto-Null-Emissionen sind ein geschäftlicher Vorteil für Unternehmen

Während die UN-Klimakonferenz COP26 sich dem Ende zuneigt, ist es die Aufgabe der Regierungen, weiterhin hochgesteckte Ziele zu verfolgen. Aber der Privatsektor spielt eine ebenso entscheidende Rolle für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Solar- und Windenergie allein werden das Rennen um die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft nicht entscheiden können. Auch in den Sektoren, in denen Emissionen schwer vermeidbar sind (die so genannten „hard-to-abate“ Sektoren), wie in der Schwerindustrie und im Schwerlastverkehr – auf die ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen entfällt – müssen wir rasch Fortschritte erzielen. Dort hat der Übergang zu Netto-Null-Emissionen gerade erst begonnen. Es bedarf einer Koalition von „Vorreitern“, um bahnbrechende Technologien zu entwickeln und zu skalieren und die Kosten für innovative saubere Technologien in Sektoren zu senken, in denen es keine kommerziellen Alternativen zum unverminderten Verbrauch fossiler Brennstoffe gibt.

Doch die gute Nachricht ist, dass die Gelegenheit für Vorreiter, ihre Branchen grundlegend zu verändern, noch nie so günstig war wie heute. Das neue US-Infrastrukturgesetz sieht Investitionen in Innovationen bezüglich sauberer Energien in historischem Ausmaß vor, insbesondere in Sektoren mit schwer vermeidbaren Emissionen. Darüber hinaus debattiert der Kongress derzeit über eine weitere halbe Billion Dollar für noch mehr Wandel.

Genauso wichtig wie die Maßnahmen von Regierungen zum Ankurbeln des Marktes sind jedoch auch die Zusagen führender Unternehmen. Wie bei der sprichwörtlichen Kavallerie kommt ihnen hier die Vorreiterrolle zu. In Glasgow haben wir mit der „First Movers Coalition – „Vorreiter-Koalition“ –, einer neuen Plattform für weltweit führende Unternehmen zur Beschleunigung von Innovationen im Bereich sauberer Energien, den historisch größten Aufruf zu Innovationen in Sektoren mit schwer vermeidbaren Emissionen gestartet. Vierunddreißig Unternehmen mit einem Marktwert von insgesamt über 8 Billionen Dollar haben bereits ambitionierte Zusagen in den Bereichen Stahl, Luftfahrt, Lkw und Schifffahrt gemacht, die präzise und überprüfbare Kaufverpflichtungen beinhalten und Innovatoren dazu auffordern, dass sie bis 2030 saubere Technologien auf den Markt bringen. Ihre Zusagen stellen zwar nur einen kleinen Anteil an ihrer gesamten Kaufkraft dar, aber sie sind enorm im Vergleich zur derzeitigen Rolle von sauberen Technologien in den jeweiligen Sektoren.

Unternehmen aus der Stahlindustrie, welche die Verpflichtungen der First Movers Coalition eingehen, verpflichten sich, den Anteil von grünem Stahl, der praktisch ohne Kohlenstoffemissionen hergestellt wird, an ihrem gesamten Stahleinkauf bis 2030 auf 10 Prozent zu steigern. Die allererste Lieferung von Stahl ohne fossile Brennstoffe – der stattdessen mittels grünem Wasserstoff hergestellt wurde – fand erst vor drei Monaten statt. Doch jetzt haben große Automobilhersteller sowie Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, die Stahl für riesige Wind- und Solarparks benötigen, ein starkes Signal an Investoren und Innovatoren gesendet, damit sie viele weitere Fabrikanlagen für sauberen Stahl bauen, die an interessierte Käufer verkauft werden können.

Unternehmen aus der Luftfahrt haben sich verpflichtet, Technologien einzukaufen, welche die Emissionen im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin während des gesamten Lebenszyklus um 85 Prozent oder mehr reduzieren können. Dies ist ein Novum in der Luftfahrtbranche. Große Fluggesellschaften sowie Unternehmen, die Flugtickets kaufen, darunter die größten Technologie- und Finanzunternehmen der Welt, haben zugesagt, 5 Prozent ihres Kerosinbedarfs durch Alternativen zu ersetzen. Damit beweisen sie ein hohes Interesse an Innovationen, wie beispielsweise saubere synthetische Kraftstoffe, Biokraftstoffe der nächsten Generation sowie emissionsfreie Antriebe, die für den Übergang zu Netto-Null-Emissionen entscheidend sein werden.

Die Kosten für solche Produkte mögen zu Beginn höher sein, aber wenn die Unternehmen mit Vorreiterrolle ihre Kaufverpflichtungen in diesem Jahrzehnt erfüllen, können sie die neuen Technologien zur Marktreife bringen und die Mehrkosten im Vergleich zu den heutigen umweltschädlichen Optionen ausgleichen.

Anstatt selbst als Vorreiter aufzutreten, könnten manche Unternehmen einen Reiz darin sehen, sich in die zweite Reihe zurückzuziehen und entschiedene Maßnahmen zum Klimaschutz aufzuschieben, bis der Übergang zu Netto-Null-Emissionen bereits weit fortgeschritten ist. Solche Unternehmen laufen jedoch Gefahr, dass ihre Wettbewerber einen uneinholbaren Vorsprung in Bezug auf innovative und saubere Lieferketten aufbauen. Wiederum andere Unternehmen, die den Kopf in den Sand stecken, werden weiterhin in Geschäftsmodelle investieren, die von der Annahme ausgehen, dass der Übergang zu Netto-Null-Emissionen niemals in Gang kommen wird. Diese Unternehmen riskieren, wie bei einer Flut durch den Wandel weggeschwemmt zu werden.

Viele wichtige Technologien sind heute noch nicht kommerziell verfügbar, aber die starke Nachfrage wird zu mehr Investitionen in Innovationen führen. Im Bereich privater Investitionen ist bereits jetzt eine Renaissance im Hinblick auf Technologien der nächsten Generation im Gange – von sauberem Wasserstoff über langfristige Energiespeicherung bis hin zur direkten Abscheidung von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre. Die privaten Investitionen in saubere Technologien, die sich noch in der frühen Entwicklungsphase befinden, haben mit 37 Milliarden Dollar in den ersten drei Quartalen des Jahres 2021 bereits einen historischen Rekord aufgestellt. Der Übergang zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 birgt ein enormes wirtschaftliches Potenzial: 4 Billionen Dollar an Investitionen in saubere Energietechnologien pro Jahr bis 2030.

Der Übergang zu einer Welt mit Netto-Null-Emissionen bietet das größte wirtschaftliche Potenzial seit der industriellen Revolution. Unternehmen können diese Chance ergreifen, indem sie den Übergang vorantreiben, anstatt im Kielwasser mitgerissen zu werden.

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