Wirtschaftsweise

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Wirtschaftsweise

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Schauen wir uns die weltweite Lieferkrise einmal aus einer persönlichen Perspektive an: Da bringt man sein Fahrrad zum Händler, um einen neuen Schlauch aufziehen zu lassen, und betrachtet, während man in einer endlos langen Käufer-Schlange wartet, die neuen E-Bikes, die sich aufgereiht vor der Ladentür anbieten. Während man noch überlegt, ob ein E-Bike nicht eine feine Sache wäre, schaut der Fahrradhändler bedeutungsvoll die Warteschlange entlang: „Wer so ein E-Bike haben möchte, der kaufe am besten noch heute eins“, ruft er uns zu. Wenn keine mehr da seien, sagte er weiter, hieße es warten. Und das mindestens ein halbes Jahr.

Das Warten ist keiner mehr gewohnt. Just-in-time ist das endlos verzweigte Netz an Lieferketten über den Globus organisiert, nicht nur den Kunden zuliebe, sondern weil Ware zu lagern sündhaft teuer ist. Jetzt aber ist alles anders. Die wirtschaftlichen Nachwirkungen des harten Lockdowns zeigen sich inzwischen. Denn einmal jäh durchbrochene Lieferketten sind schwierig wieder in Gang setzen. Deren Unterbrechung löst Kettenreaktionen aus, die sich zweifelsohne auf Unternehmensbilanzen niederschlagen, vielleicht sogar in Einkommenseinbußen münden oder gar in einem Anstieg der Erwerbslosigkeit. Sicher ist: Dieses neuartige Phänomen kostet die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr mindestens 40 Milliarden Euro.

Zurück zum E-Bike. Tatsächlich steht man kurz davor, sich das rote genauer anzusehen, um vielleicht doch noch diese Woche zuzuschlagen. Wer würde schon ein halbes Jahr warten wollen?

Vielleicht wäre es tatsächlich zu einem Kauf gekommen, hätten da nicht diese Woche die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute ihr traditionelles Gemeinschaftsgutachten vorgelegt, in dem vor allem eine Stimme besonderen Nachhall fand. Es war die von Oliver Holtemöller, dem Präsidenten des IWH in Halle: „Wie man es auch dreht und wendet, ohne einen Konsumverzicht ist eine spürbare CO₂-Reduktion nicht zu erreichen.“ Effektive Klimapolitik sei nur möglich, wenn wir alle den Gürtel enger schnallten, mahnte er.

Ausgerechnet von Ökonomen hört man derlei selten, nicht zuletzt, weil sie wissen, was Konsumverzicht für das Wirtschaftswachstum real bedeutet.

Was aber haben nun der Konsumverzicht und die Lieferkrise miteinander zu tun?

Vor allem eines: Die Lieferkrise zwingt einem Bedenkzeit auf, um über die Logik des Konsumverzichts allgemein und die Notwendigkeit eines neues E-Bike im Besonderen nachzusinnen. Muss das denn wirklich sein? Zwar fährt das mit Strom betriebene Zweirad emissionsfrei, doch wurde es ganz sicher nicht emissionsfrei hergestellt. Mehr noch: Ein ordentliches Fahrrad hat man längst. Eines, das keinen Strom verbraucht, der so oder so noch längst nicht „öko“ ist, sondern nur Muskelkraft und damit Kalorien. Das hat doch was. Das E-Bike wurde schließlich nicht gekauft.

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