Buckeln und Treten

Der belarusische Präsident Alexander Lukaschenka irrlichtet zwischen Repressionen und Abhängigkeit von Putin

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PICTURE ALLIANCE/DPA-SPUTNIK | VIKTOR TOLOCHKO
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PICTURE ALLIANCE/DPA-SPUTNIK | VIKTOR TOLOCHKO

Buckeln und Treten

Der belarusische Präsident Alexander Lukaschenka irrlichtet zwischen Repressionen und Abhängigkeit von Putin

Wieder einmal tut Alexander Lukaschenka alles, um unsere Aufmerksamkeit auf sein von Repressionen und der Abhängigkeit von Russland gekennzeichnetes Regime zu lenken. In diese Woche fiel sowohl die Verurteilung von zwei der prominentesten belarussischen Oppositionellen, Maria Kalesnikava und Maxim Znak, als auch Lukaschenkas Reise nach Moskau. Diese Reise wirkte wiederum wie ein Auftakt für die groß angelegte russische Militärübung „Sapad-2021“, bei der belarusische Soldaten eine sichtbare Präsenz haben werden. Diese Abfolge von Ereignissen, die Belarus auf der EU-Agenda halten, aber auch demonstrieren, wie begrenzt die Einflussmöglichkeiten der EU derzeit sind, ist natürlich kein Zufall.

Das Gerichtsurteil sollte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin signalisieren, dass Lukaschenka im Land alles unter Kontrolle hat. Dementsprechend gestaltete sich die Atmosphäre vor den Kameras in Moskau freundlicher als bei vorangegangenen Besuchen. Lukaschenka ist sichtlich bemüht, sich vom Bittsteller in der Krise zur Position eines Partners hochzuarbeiten, wohlwissend, dass Putin ihn jederzeit fallen lassen könnte. Lukaschenka spielt auf Zeit, denn auch ein russlandfreundlicher Nachfolger würde für Moskau momentan ungewollte Ungewissheit bringen.

Der zerrissene Pass

Die zu einem Herz geformten Hände, die furchtlose Art, sich dem Lukaschenka-Regime entgegenzustellen und dabei Optimismus und Stärke auszustrahlen – dies sind die Markenzeichen von Maria Kalesnikawa. Sie gehörte neben Präsidentschaftskandidatin Swjatlana Zichanouskaja und Veronika Zepkala zu dem Trio, das Lukaschenka vorigen Sommer die Präsidentschaft strittig machte und eine Massenmobilisierung inspirierte. Im Präsidentschaftswahlkampf leitete Kalesnikawa das Team des Oppositionskandidaten Viktor Babariko, der genau wie Zichanouskajas Mann inhaftiert und so von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen wurde.

Nachdem ihre Mitstreiterinnen in den ersten Wochen der Massenproteste nach den Wahlen ins Exil gezwungen wurden, wehrte sich Kalesnikawa gegen ihre Abschiebung in die Ukraine, indem sie in einer spektakulären Aktion kurz vor der Grenze ihren Pass zerriss. Sie entschied sich bewusst für den Verbleib in Belarus. Seit einem Jahr befindet Kalesnikawa sich nun in Untersuchungshaft, diese Woche kam ihr hinter verschlossenen Türen abgehaltene Prozess zum Abschluss. Das Urteil: elf Jahre Lagerhaft. Die Verteidigung wird Berufung einlegen, auch wenn ihre Aussicht auf Erfolg verschwindend gering ist.

Ein fadenscheiniger Prozess

Überraschend ist dieses drakonische Urteil im jetzigen politischen Kontext in Belarus nicht, und dennoch erschreckt die Brutalität des Systems immer wieder. Die fadenscheinige Grundlage des Urteils ist eine angebliche Verschwörung und die Gründung einer extremistischen Organisation. Letzteres bezieht sich auf den Koordinationsrat der Opposition, ein loses Gremium, das im Nachgang der Präsidentschaftswahlen versuchte, einen friedlichen Weg zu einer Neuwahl zu vermitteln. Die Argumentation des Gerichts zeigt deutliche Parallelen zum Fall Nawalny in Russland.

Kalesnikawa und Znak nutzten die Bilder aus dem Gerichtssaal, um mit Worten, Mimik und Gestik trotz Handschellen und Glaskäfig den ihnen eigenen Optimismus zu verbreiten. Die Gerichtsverhandlung war nur für engste Angehörige und ein sorgfältig ausgewähltes Publikum zugänglich.

Mechanismen der Reduktion sozialer Komplexität

Wie bei den vorangegangenen Repressionen ist auch diese Verurteilung in ihrer Wirkung ambivalent. Das Urteil und die Bilder aus dem Gerichtssaal zielen darauf ab, die Opposition im Inland wie im Ausland einzuschüchtern. An den beiden bekannten Gegnern des Systems soll ein Exempel statuiert werden. Zugleich wird jedoch die Sichtbarkeit der Symbolfiguren des Widerstands gegen Lukaschenka verstärkt. Und auch diejenigen, die nicht an den Protesten teilgenommen haben oder ihnen kritisch gegenüberstehen, können das Urteil als das erkennen, was es ist. Auf diese Weise kann das System auf keinen Fall gesellschaftliches Vertrauen wiedererlangen. Und es ist genau das, was mittelfristig gebraucht wird, um den Systemerhalt zu ermöglichen. Die staatliche Rhetorik hat an Wirkung verloren. Das Staatsfernsehen wird nur noch von einer Minderheit als wichtigste Informationsquelle gesehen. Eine neue, vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) durchgeführte Online-Umfrage unter den 16-64-Jährigen in Städten über 20 000 Einwohnern, hat im Juni 2021 noch einmal den Trend von 2020 bestätigt: Etwa 65 Prozent der Befragten beschreiben soziale und andere internetbasierte Medien weiterhin als ihre Hauptinformationsquelle – und nur etwa zehn Prozent nennen das Staatsfernsehen. Dieser Trend wird nur begrenzt durch jüngere Altersgruppen bestimmt.

Lukaschenkas eigene Vertrauenswerte bleiben niedrig: 55 Prozent der vom ZOiS im Juni Befragten vertrauen ihm „gar nicht“ bzw. „eher nicht“. Allerdings ist auch das Vertrauen in die im litauischen Exil lebende Swjatlana Zichanouskaja ambivalent: Etwa ein Drittel der Befragten vertraut ihr und ihrem Team, etwa 47 Prozent tun das nicht, und weitere 23 Prozent wissen nicht, wie sie diese Frage beantworten sollen. Dies deutet darauf hin, dass das politische Engagement aus dem Exil für die Bevölkerung in Belarus zunehmend weit entfernt erscheint.

Die Verurteilung von Kalesnikawa und Znak ist eine Erinnerung an die EU und die USA, die Entwicklungen in Belarus nicht durch andere globale Themen aus dem Blick zu verlieren. Wie es die Moskau-Korrespondentin des WDR Ina Ruck diese Woche auf den Punkt brachte: „Es hat uns zu interessieren.“

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