Jenseits von Abwiegelung und Pauschalisierung

Polizei und Rassismus – ein Angebot zur Differenzierung. Und die Fragen, die es zu erforschen gilt

27
09
PICTURE ALLIANCE/DPA/ZENTRALBILD
27
09
PICTURE ALLIANCE/DPA/ZENTRALBILD

Jenseits von Abwiegelung und Pauschalisierung

Polizei und Rassismus – ein Angebot zur Differenzierung. Und die Fragen, die es zu erforschen gilt

Rechtsextremismus und Rassismus sind in Deutschland ein Problem. Da macht die Polizei keine Ausnahme. Allerdings haben diese Probleme bei der Polizei sehr viel gravierendere Folgen als in anderen Bereichen der Gesellschaft: Die Polizei ist zu weitreichenden Grundrechtseingriffen befugt, und ihr Handeln hat Signalkraft für die Gesellschaft. Wirken sich dabei ein racial bias oder gar bewusst rechtsextreme Einstellungen aus, ist dies nicht nur für den konkreten Einzelfall, sondern auch in der darüber hinausgehenden Wirkung fatal – für die Betroffenen, für den Rechtsstaat und für das Vertrauen in die Polizei.

Angesichts dessen könnte man meinen, dass der wissenschaftliche Forschungsstand zum Thema einigermaßen ergiebig sei. Leider ist das Gegenteil der Fall. Zwar gibt es eine Handvoll Studien zu politischen Einstellungen, zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Polizei. Diese sind aber zum Großteil in den 1990er-Jahren entstanden und betreffen jeweils nur einzelne Städte oder gar Dienststellen. Hieraus lassen sich also nur Anhaltspunkte und Einschätzungen für die heutige Situation ableiten, keine gesicherten Erkenntnisse.

Grob zusammengefasst kommen diese Studien zu dem Ergebnis, dass es eine problematische Gruppe von fünf bis 15, vielleicht auch 20 Prozent an Beamtinnen und Beamten gab, die fremdenfeindliche, rassistische oder sogar rechtsextreme Einstellungen haben. Aber wie sieht es heute aus?

Zwar hat sich in der Polizei in den vergangenen 20 Jahren einiges zum Positiven verändert: mehr Aus- und Fortbildung in transkultureller Kompetenz, mehr Diversität bei der Personalauswahl – wenn auch mit großen Unterschieden zwischen den Bundesländern –, gestiegenes Bildungsniveau bei Einsteigern und anderes mehr.

Nicht zuletzt sind in der öffentlichen Debatte der vergangenen Monate viele verschiedene Dinge in einen Topf geworfen worden, die es eigentlich zu differenzieren gilt: Schon Rassismus und Rechtsextremismus sowie Einstellungen und Handlungen sind sehr verschiedene Dinge; vor allem im Feld des Rassismus kann weiterhin zwischen bewussten Einstellungen, eher unbewussten Stereotypen und institutionellen Formen differenziert werden. Zusammenfassend betrachtet bräuchte es also sehr viel mehr als die zuletzt viel diskutierte Studie zum „racial profiling“.

Diese Diagnose eines erheblichen Forschungsbedarfs bedeutet nicht, dass nicht schon heute konkrete Maßnahmen im Umgang mit dem Problem möglich wären. Neben einer konsequenten Ahndung aufgedeckter Fälle in Straf- und Disziplinarverfahren ist in den Bereichen Aus- und Fortbildung bei dem Thema noch deutlich Luft nach oben.

Ebenso liegt auf der Hand, dass die starke Binnenkultur in der Organisation Polizei ein Teil des Problems ist: Zwar möchte die große Mehrheit der Beamten keine Rechtsextremisten als Kollegen und versteht sich selbst als nichtrassistisch. Die Innenpolitik wie auch die Dienststellen selbst erkennen zunehmend an, dass nicht mehr nur von Einzelfällen gesprochen werden kann, sondern es sich um strukturelle Probleme der Organisation Polizei handelt. Dies bedeutet nicht, dass die Polizei in Gänze oder alle Polizisten rassistisch wären. Aber es ist eben auch kein Zufall, dass Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei zu finden sind, sondern es hängt mit den Strukturen dieser Organisation zusammen – mit ihrer Personalauswahl, mit Aufgaben und Tätigkeit der Polizei, mit ihrem Selbstverständnis und ihrer Kultur, mit fehlenden Räumen für Reflexion und Coaching, mit den Formen des Umgangs mit Fehlern.

Wenn man an den grundlegenden Entstehungszusammenhängen von Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei etwas ändern möchte, muss man zunächst genauer untersuchen, welche Strukturen in welcher Weise zu den Missständen beitragen. Wer in der Organisation ist anfällig für rassistische beziehungsweise rechtsextreme Einstellungen oder Praktiken? Welches Wissen und welche Vorstellungen haben Polizisten zu diesen Themen? Welche Rolle spielen dienstliche Erfahrungen und der Umgang damit innerhalb der Organisation? Welche Rolle spielen kriminalpolitische Diskurse und Vorgaben aus der Innenpolitik? Unter welchen Bedingungen entwickeln und verfestigen sich solche Probleme – oder eben auch nicht? Wie und unter welchen Bedingungen entstehen einschlägige Netzwerke in der Polizei und warum bleiben sie unerkannt? Wo begünstigen gesetzliche Regelungen oder polizeiliche Verfahrensweisen eine diskriminierende Praxis? Diese und weitere Fragen gilt es zu beantworten.

Weitere Artikel dieser Ausgabe