Mit allem gegen Annalena

Wie Springer und die FDP die politisch-mediale Allianz gegen die Grünen befeuern

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PICTURE ALLIANCE/DPA
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Mit allem gegen Annalena

Wie Springer und die FDP die politisch-mediale Allianz gegen die Grünen befeuern

Die Angst geht um in der grünen Partei, die Angst vor dem Absturz aus den Höhen der Umfragewerte. Eben noch erlebte die frisch nominierte Spitzenkandidatin Annalena Baerbock einen wahren Honeymoon mit weiten Teilen der Medien wie der deutschen Öffentlichkeit, was den Grünen prompt die Führung im Kandidaten-Ranking einbrachte und sie in einen wahren Höhenrausch versetzte. Doch jetzt erfährt die Partei mit aller Brutalität, warum Joschka Fischer einst das Kanzleramt als die „Todeszone“ der Politik bezeichnet hat.

Im Kampf um das mächtigste Amt in Deutschland und Europa wird von der Konkurrenz wie von gegnerischen Medien jeder Stein umgedreht und dabei eine Menge zu Tage gefördert – Berechtigtes, wie Baerbocks nicht gemeldete Partei-Sonderzahlungen, aber auch unsägliche Fake News, wie die angeblich nicht vorhandenen Uni-Abschlüsse der Spitzenkandidatin. Speziell die Bild-Zeitung lässt keinen Tag verstreichen, an dem sie nicht mit neuen „Enthüllungen“ gegen die angebliche Verbotspartei aufwartet, etwa dass die Berliner Landesgrünen den Verzicht auf Schnittblumen als bloße Wegwerfartikel bei Großveranstaltungen prämieren wollen.

Da zu alledem noch der Disput um die unsägliche Facebook-Botschaft Boris Palmers hinzukommt, droht Baerbock schon sehr früh in diesem Wahlkampf an Autorität zu verlieren. Dank des durchaus unklugen Ausschlussverfahrens gegen den notorischen Tabubrecher kann der Tübinger OB jetzt mit Begeisterung den „Sarrazin der Grünen“ abgeben, um ganz im Stile von Sahra Wagenknecht gegen die angebliche Hypermoral der grünen „Lifestylelinken“ zu Felde zu ziehen.

Denn genau das ist schon immer die weiche Flanke der Grünen gewesen: dass sie Gefahr laufen, ihren hohen eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Alles, was sie jetzt in diesem Wahlkampf an Vorhaben vorbringen, droht ihnen nun als Ausdruck angeblicher Verlogenheit vorgehalten zu werden. Daher wächst die Sorge, dass Baerbock wie vor vier Jahren Martin Schulz das Schicksal eines politischen Ikarus erleiden könnte, nämlich aus den höchsten Höhen brutal abzustürzen und damit die Wahl bereits frühzeitig zu verlieren.

Allerdings liegt der Sachverhalt in einem entscheidenden Punkt völlig anders: Während Schulz vor vier Jahren daran scheiterte, dass er über Wochen sein großes Gerechtigkeitsversprechen nicht inhaltlich unterfütterte, basiert die Bekämpfung von Baerbock eher auf einem Zuviel an grünem Inhalt.

Anders als ihre Konkurrenten bestreiten die Grünen diesen Wahlkampf mit dem großen Anspruch auf Erneuerung, ja, auf Transformation einer ressourcenverschlingenden, nicht-nachhaltigen Wirtschaft. Erneuerung statt Beharrung: Dahinter steht eine fundamentale Richtungsentscheidung. Und dabei geht es auch gegen gewaltige Interessen, denen an einer Versteinerung der alten Verhältnisse gelegen ist.

Dort zeichnet sich ab, was wir in den nächsten Monaten erleben werden, nämlich einen Lagerwahlkampf der anderen Art: mit einer breiteren Mitte aus CDU/CSU und SPD, die manche Positionen der Grünen eher zu übernehmen und damit zu neutralisieren versuchen, einer schwachen Linkspartei und einer starken rechten Flanke, bestehend aus AfD und FDP.

„Mit allem gegen Annalena“: Unter diesem Motto machen Letztere Front gegen die Grünen – die AfD auf kulturellem Gebiet, mit bekannter Polemik gegen die „rot-grün-versiffte 68er-Republik“ und zugleich gegen die „große Lüge“ vom menschengemachten Klimawandel; und die FDP auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik mit dem Versprechen einer angeblich „enkelgerechten Steuerpolitik“ gegen höhere grüne Staatsausgaben.

Das Ziel der FDP ist klar: Sie will zum neoliberalen Zünglein an der Waage werden, wenn nach der Wahl eine Dreierkonstellation erforderlich sein sollte.

Auf ihrem Programmparteitag hat die Partei daher einer stärker ökologisch ausgerichteten Politik soeben eine radikale Absage erteilt. Zu diesem Zweck schloss Parteichef Lindner bereits jetzt Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl kategorisch aus. Da das Bundesverfassungsgericht der Politik soeben aufgegeben hat, die ökologischen Chancen zukünftiger Generationen weit stärker zu berücksichtigen als bisher, ist das ein bemerkenswerter Beschluss. Denn jede Festlegung, die die Handlungsfähigkeit des Staates derart massiv einschränkt, wie der Verzicht auf erhöhte Steuereinnahmen – bei gleichzeitigem Verzicht auf neue Schulden –, ist in ökologischer Hinsicht hochbedenklich.

Ob der Staat so seiner Schutzpflicht vor späteren, viel weiterreichenderen Freiheitseinschränkungen infolge eines dann noch viel stärkeren Klimawandels gerecht wird, ist zumindest höchst zweifelhaft. Das aber ändert nichts daran, dass der FDP-Chef dafür massive mediale Unterstützung erfährt. Bild hat Lindners FDP längst als letztes Bollwerk ökonomischen Sachverstands ausgemacht – gegen die „Schwarz-Grün-Rot-Blau-Links-Welt, die Deutschland droht“. Gemeinsam mit Friedrich Merz bildet der FDP-Chef für die Bild-Zeitung „die Achse der Vernunft“.

Schöner könnte das Welt- und Leitbild des Springer-Konzerns wohl nicht auf den Punkt gebracht werden. Denn dieses „Vernunft-Verständnis“ bedeutet im Kern möglichst wenig Staatsintervention und daher am besten eine schwache, massiv beeinflussbare Regierung. Dabei ist der Konzern schon deshalb gegen jede grundlegende ökologische Veränderung, weil er den alten fossilistischen Industrien und Produkten ökonomisch tief verbunden ist. Wohl am prägnantesten kommt dies in den schönen bunten Fotos der Auto-Bild zum Ausdruck, die Springer so manches lukrative Anzeigengeschäft von der Automobilindustrie einbringen dürften.

Noch ist am 26. September rein rechnerisch fast alles möglich – von Grün-Schwarz über Schwarz-Grün, Jamaika und Ampel bis hin zu Grün-Rot-Rot. Doch wie auch immer die Wahl am Ende ausgehen wird, der kommende Sieger sollte sich über eines keine Illusionen machen: Längst stehen nicht nur der Springer-Konzern, sondern auch gewaltige andere ökonomische Macht-Player bereit, um alles, was in eine progressive, ökologisch-nachhaltige Richtung gehen sollte, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen.

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