Stamokap 2.0

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

22
05
22
05

Stamokap 2.0

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Es herrscht Aufbruchstimmung in Deutschland. Restaurants, Theater und Museen öffnen wieder. Und mehr Menschen befassen sich wieder mit Themen, die ihrer Meinung nach jenseits von Corona endlich angegangen werden müssten. Das tat diese Woche auch ein gewisser Dr. Sasse in einem sehr bekannten Podcast.

Dr. Sasse ist ein Münchner Unternehmer, dessen Firma, die Dr. Sasse AG, im größeren Stil Facility Management im In- und Ausland betreibt. Das klingt vornehmer, als es ist. Der Großteil seiner 6500 Mitarbeiter sind Putzkräfte und Hausmeister, die er zum Mindestlohn von 11,15 Euro beschäftigt und mit denen er 260 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Bis vor der Coronakrise war die Gruppe auf Wachstumskurs. Will sagen: Schlecht ging es dem Unternehmen in den vergangenen Jahren nicht.

Weil Dr. Sasse auch noch Präsident der IHK für München und Oberbayern ist, fühlt er sich wohl bemüßigt, sozialpolitisch zu fachsimpeln. Und das ging so: Von den 11,15 Euro, die er bezahlt, könnten die Menschen selbst bei einer 40-Stunden-Woche nicht leben. Das liege daran, dass der Staat Sozialabgaben einbehalte, die das Brutto schmälern, auch wenn sie den Arbeitnehmern als Sozialleistungen wieder zugutekommen. Wegnehmen und wiedergeben, das findet Dr. Sasse eine fortwährende Demütigung. Man müsse darüber nachdenken, die Sozialabgaben für Niedriglöhne gar nicht mehr zu erheben. Der Staat solle sich dafür ein Modell ausdenken.

Hier wäre mal eine andere Idee: Man könnte Dr. Sasse fragen, wie hoch das Gehalt ist, dass er sich selbst bezahlt, und darüber hinaus sein Gewinn. Und durchrechnen, was es für ihn persönlich bedeuten würde, wenn er seiner Belegschaft etwas mehr als den seiner Meinung nach so demütigenden Mindestlohn bezahlte. Nun wird Dr. Sasse mit dem Markt argumentieren, auf dem sich höhere Löhne bei den Kunden nicht durchsetzen ließen. Da würde er sofort aus dem Markt gedrängt, was nicht ganz falsch ist. Aber: Er könnte einen Teil der höheren Löhne auf auf eigene Rechnung nehmen.

So aber denken er und viele Unternehmer nicht. Lieber soll der Staat die Sache mit den niedrigen Löhnen richten, Gehälter aufstocken oder Sozialabgaben streichen. Warum eigentlich der Staat? Damit die Unternehmer fein heraus und trotzdem sozial sind? Man hätte von jemandem, der mit solchen Ideen aufwartet, auch etwas anderes erwarten können. Etwas dass er als Unternehmer freiwillig etwas mehr zahlt – nicht zulasten seiner Wettbewerbsposition, sondern zulasten eines Teils seines Gewinns. Denn man könnte auch behaupten, dass einen Teil der „Demütigung“ einer Belegschaft durch Niedriglöhne die Unternehmer selbst zu verantworten haben, um dann – nach Dr. Sasse – auf Kosten des Staates sozial zu sein. Das ist unglaubwürdig.

Weitere Artikel dieser Ausgabe