Rumstresser

Postskriptum

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Rumstresser

Postskriptum

Regalmeter noch zu verfassender soziologischer Fachliteratur nahm der französische Schriftsteller Victor Hugo einst mit der bestechend präzisen Beschreibung vorweg, das Bürgertum sei die zufriedene Klasse.

In der vergangenen Woche bestätigten nicht nur die Zentralorgane des Klein- und Großbürgertums, Bild und FAZ, ihren Argwohn gegenüber allem, was ihren Vorstellungen von bitte nicht zu behelligender Normalwelt zu beeinträchtigen droht. Aus Robert Habecks Wirtschafts- und Klimaministerium ist ein Referentinnenentwurf durchgesickert, dem zufolge Heizungen ab 2024, oh Schreck, verboten werden sollen.

Die Details sind dann natürlich doch etwas komplizierter, – es geht erstens um neue Anlagen, die mit mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien laufen sollen. Ins Parlament eingebracht ist der Plan auch noch lange nicht, es dürfte schon noch daran gefeilt werden – und wenn die regierungseigene Oppositionspartei FDP für die verbliebenen Getreuen hinreichend oft „Irrenhaus!“ in Richtung Habeck getwittert hat, dürfte sie sogar ein oder zwei Verbesserungsvorschläge einbringen.

Bis dahin wird es auch mit größter Wahrscheinlichkeit neue Anlässe für die Klasse der vermeintlich Zufriedenen geben, sich über die Grünen zu empören.

Ein beliebter, aber angesichts der moralischen Heuchelei doch etwas abgefeimter Vorwurf gegenüber der Partei lautet immer wieder, das ganze ökologische Gewissen und Verhalten müsse man sich schon leisten können – und liefe doch eigentlich nur auf das Distinktionsbedürfnis einer sich besonders hochstehend dünkenden Truppe hinaus. Dann kommt auch gleich die sprichwörtliche hart arbeitende Krankenschwester ins Spiel, die etwa auf ihr Auto angewiesen sei. Geht es um ihre Entlohnung und Arbeitsbedingungen, sieht die Nummer aber gleich wieder anders aus. Aber auch in den großpolitischen und geoökonomischen Energiefragen argumentiert der fossile Fanclub gerne beinhart für den betonierten Status quo – inklusive Öl- und Atomkonzern-Milliardeneinnahmenbestandsgarantie. Bloß keine Zumutungen – sprich: keine Veränderungen, keine Kraftanstrengungen, kein Wille zum Wandel. Die Zufriedenen wollen, dass bitte alles so bleibt, wie es vorgeblich war.

Wenn die Grünen, selbstverständlich mal besser und mal schlechter, wir sprechen immer noch von Parteien, auf die neuen Verhältnisse, Umstände und Notwendigkeiten –Klimawandel, Gleichberechtigung oder untauglich gewordene diplomatische Gepflogenheiten – immerhin reagieren wollen und nicht bloß den Stillstand zu verwalten trachten, wird die Technologieoffenheit utopisch genannt, wird bei Geschlechterthemen der bürgerliche Anstand vergessen und verliert sich in Vulgarität. Und es wird, was Auftrag der Legislative ist, die Gesetzgebung reichlich geistlos als unstatthafte Gängelung, Verbotskultur und Dirigismus abgetan. Einst galt ihr Quengelei noch als liederlich, und es zeichnete die bürgerliche Klasse vielmehr der Mut zur Introspektion aus, die Fähigkeit, Festgefahrenheit und tote Traditionen zu überwinden, sich neu zu erfinden. Das war das Fortschritts­versprechen, für die eigene und folgende Generationen. Auf ein Neues.

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