Weltkunst

Postskriptum

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Weltkunst

Postskriptum

Nach allzu langen Verantwortungsabschiebungskaskaden, bürokratischen Floskeln und allgemeinem Herumgeeier konnte der Aufsichtsrat der Documenta diese Woche Generaldirektorin Sabine Schormann dazu bringen, ihr Amt niederzulegen.

Vorausgegangen war ein künstlerischer und politischer Eklat um ein 20 Jahre altes Großgemälde mit antisemitischer Bildsprache, das erst nachträglich ausgestellt, dann kurzzeitig verhüllt und schließlich abgebaut wurde. Tatsächlich hatte es schon lange Antisemitismus-Vorwürfe gegen das kuratierende Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.

Die dazugehörige Feuilleton-Debatte – es gibt schlechtere deutsche Sitten und Gebräuche – verhandelte den vermeintlichen Widerstreit zwischen deutschem Holocaust-Gedenken und postkolonialen Theorien, die Besonderheiten des staatlich geförderten Kunstbetriebs und die Kunstfreiheit, den globalen Süden und nicht zuletzt Unart und Unwesen des Antisemitismus an sich.





Die Schriftstellerin Gabriele Tergit, die glanzvoll zu nennen untertrieben wäre, schrieb, nachdem sie aus Deutschland 1933 unter abenteuerlichen Umständen fliehen konnte, erst in Palästina, dann in London an ihrem großen Familienroman, in dem sie eine Berliner Familiengeschichte vom späten 19. Jahrhundert an erzählt. Den beliebten Vergleich mit Thomas Mann aus so mancher Rezension kann man getrost umdrehen: Die Buddenbrooks sind viel eher die protestantischen Effingers. Eine besondere literarisch-politische Pointe des großen Buches ist es, dass es hunderte Seiten dauert, ehe die Familie Effinger überhaupt als jüdisch erkennbar ist – das ist das Gegenteil von historischer Blauäugigkeit, zeigt vielmehr wie absurd und herzzerreißend der deutsche Zivilisationsbruch war.

Mit der Lektüre lassen sich keine Debatten gewinnen, aber Welten verstehen. Keine größere Kunst denkbar. An diesem Montag jährt sich Tergits Todestag zum vierzigsten Mal.

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