Wo es beginnt

Kolumne | Direktnachricht

20
02
DPA/APA/PICTUREDESK.COM
20
02
DPA/APA/PICTUREDESK.COM

Wo es beginnt

Kolumne | Direktnachricht

„Ein Jahr danach können wir sagen: Uns geht es nicht besser, sondern schlechter. Weil es keine Veränderungen gibt.“ Eine bittere Erkenntnis, die von Piter Minnemann stammt – einem der Überlebenden des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau.

Hanau sollte angeblich eine Zäsur sein. Davor wurde das bereits für den Anschlag von Halle, den Mord an Walter Lübcke oder die Enttarnung des NSU-Netzwerks behauptet. Die Realität zeigt ein anderes Bild und ein Meer fehlender Konsequenzen. Die Angehörigen der Opfer von Hanau organisierten sich deshalb selbst und müssen immer wieder den Finger in jene Wunde legen, die sich für sie wohl niemals wirklich schließen wird.

Sie ermitteln, sichten Akten, vereinbaren Gesprächstermine, teilen Hintergrundinformationen mit der breiten Öffentlichkeit, stellen politische Forderungen und organisieren Kundgebungen. Die Kraft, die den Angehörigen durch die Inkompetenz und Ignoranz der zuständigen Institutionen abverlangt wird, ist eine erneute Respektlosigkeit vor ihren Existenzen. Es ist struktureller Rassismus. Man könnte meinen, die politisch Verantwortlichen hätten aus dem NSU-Komplex nur gelernt, dass sie mit der Zurückhaltung von Informationen weiterhin durchkommen.

Die Wut der Angehörigen, ihr Schmerz und ihre Trauer verdienen nicht nur Raum, sondern vor allem Linderung. Der Täter von Hanau tötete sich selbst, weshalb ihm kein Prozess gemacht werden kann. Gerechtigkeit für die Angehörigen und Betroffenen hieße aber, Rassismus zu bekämpfen und die Tat als Teil eines bigger picture zu verstehen. Angefangen beim Vater des Täters, der ganz klar die Ideologie seines Sohnes teilt, dessen Tatwaffen zurückfordert und eine eindeutige Gefahr für die Menschen vor Ort darstellt.

Rassismus beginnt nicht erst, wenn jemand mit gezogener Waffe in einer Shisha-Bar steht. Er beginnt dort, wo diese Orte ständig als kriminell gebrandmarkt werden. Dort, wo selbst Menschen, die in Deutschland geboren sind, nur über ihre Hautfarbe bewertet werden. Dort, wo mit einem „Das haben wir schon immer so gemacht!“ auf menschenverachtenden Bezeichnungen beharrt wird, statt auch nur für eine Sekunde Empathie zu entwickeln.

Say it with me: Rassismus zu bekämpfen, schützt Menschen und rettet Leben.

#SayTheirNames: Gökhan Gültekin, Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Said Nesar El Hashemi.

Weitere Artikel dieser Ausgabe