Grüne Avantgarde

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

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Grüne Avantgarde

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

Zum 30. Todestag Petra Kellys



Ihr Tod liegt im Dunkel. Vor dreißig Jahren, am 19. Oktober 1992, wurde Petra Kelly in ihrem Wohnhaus im Bonner Stadtteil Tannenbusch tot aufgefunden – erschossen, neben dem ebenfalls toten Gert Bastian liegend, ihrem Lebensgefährten. Nachbarn wurden aufmerksam, weil der Briefkasten der beiden früheren Bundestagsabgeordneten überquoll. Nur der Hergang scheint geklärt. Umstände, Motive und selbst der Zeitpunkt aber sind es nicht. Laut Staatsanwaltschaft und Polizei tötete Bastian erst Kelly und dann sich selbst. Dritte seien nicht beteiligt gewesen, weshalb auch von „Doppelselbstmord“ gesprochen wurde, einer These, der hernach widersprochen wurde. Petra Kelly sei nicht lebensmüde gewesen, sie habe viele Pläne gehabt und Reisen vorbereitet. Abschiedsbriefe gab es auch nicht. Manche hängen gar – unbewiesen – der Spekulation von der Beteiligung fremder Geheimdienste an. Also Mord und Selbsttötung?

„Eine tödliche Liebe“ lautet der Titel einer Schrift, die Alice Schwarzer ein Jahr später veröffentlichte. Höchst umstritten war es damals, dass beider, der grün-feministischen Umwelt- und Friedensaktivistin und dem zum Friedensfreund gewordenen Ex-General, gleichermaßen gedacht wurde. Kellys Tod wurde auf den 1. Oktober 1992 datiert. Sie war 44 Jahre alt.

Petra Kelly war Gründungsmitglied der Grünen. Doch davon gab es viele. Sie war auch nicht nur – neben zwei anderen – erste „Sprecherin“ (heute: Vorsitzende) der neu entstandenen Partei. Kelly war viel mehr, auch mehr als bloß Ikone oder Galionsfigur. Sie war – auch weltweit – das bekannteste Gesicht der Grünen. Sie mobilisierte gegen die Kernenergie und sprach auf den Anti-Raketen-Großkundgebungen in Bonn. Sie setzte sich für die Belange der Aborigines in Australien ein, demonstrierte in Ost-Berlin mit einem dort verbotenen T-Shirt („Schwerter zu Pflugscharen“), forderte von Erich Honecker die Einhaltung demokratischer Rechte, unterstützte die Solidarność-Gewerkschaft in Polen und thematisierte in Gesprächen mit dem Dalai Lama die Unterdrückung Tibets durch China. Alles öffentlich, alles medienwirksam. Die Einhaltung der Menschenrechte war ihr wichtiger als bedingungsloser Pazifismus. So gesehen ist die Außenpolitik Annalena Baerbocks (Stichworte: Russland, China) eine verpuppte Wiederkehr des Engagements ihrer Vorfahrin.

Kelly, 1947 im schwäbischen Günzburg geboren, wuchs familienbedingt in den Vereinigten Staaten auf. Schule und Hochschule schloss sie mit besten Zeugnissen ab. In Washington wurde sie als Studentensprecherin bekannt, auch in dortigen Zeitungen wie der Washington Post. Sie engagierte sich im Wahlkampfteam des Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy. Zurück in Europa war sie bis 1982 als Verwaltungsrätin der Europäischen Kommission in Brüssel. Wegen Willy Brandt trat sie in die SPD ein und wegen Helmut Schmidt öffentlichkeitswirksam wieder aus. Sie war Sprecherin des damals bedeutenden „Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU) und kandidierte 1979 für die Vorläuferorganisation der Grünen fürs Europa-Parlament.

Die Popularisierung von Zielen, das Wahlkämpfen also auch, hatte sie in Amerika gelernt. Viele Grüne bezeichneten sie deshalb als „sozialisierte Amerikanerin“. 1983 Wahl in den Bundestag. Mit den Bonner Männerdomänen aber – damals auch bei den Grünen – kam sie nicht zurecht. Ihr Arbeitsstil war selbstausbeuterisch. Frei von Zynismus wirkte ihre von Erregung und Empörung geprägte Rhetorik als Fremdkörper. Kelly hielt Distanz zu „Realos“ und „Fundis“ – vernachlässigte also Grundprinzipien von Macht und Politik: das Klüngeln und das Knüpfen von Netzwerken. Ihre Bekanntheit lief dem antiautoritären Impetus der Grünen zuwider und weckte auch den ganz gewöhnlichen Neid innerparteilicher Konkurrenten. Für die Europawahl 1989 und die Bundestagswahl 1990 wurde sie nicht wieder aufgestellt. Ein Versuch, nochmals Parteisprecherin zu werden, scheiterte. Die Parteigründerin wurde nicht mehr gelitten. Ihre Bedeutung für das Entstehen der Grünen, mithin für die politische Entwicklung und die Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, wurde unterschätzt – und wird sie bis heute. Im November wäre sie 75 Jahre alt geworden.

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