Kanzlerwahlverein sucht Kapitän

Wer folgt auf Angela Merkel? Die Union befindet sich trotz Krisenhoch auf Sinnsuche

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PICTURE ALLIANCE/REVIERFOTO/DPA Konrad-Adenauer-Haus
Wer lenkt das Unionsschiff im kommenden Jahr? Das Konrad-Adenauer-Haus im Berliner Tiergarten
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PICTURE ALLIANCE/REVIERFOTO/DPA Konrad-Adenauer-Haus
Wer lenkt das Unionsschiff im kommenden Jahr? Das Konrad-Adenauer-Haus im Berliner Tiergarten

Kanzlerwahlverein sucht Kapitän

Wer folgt auf Angela Merkel? Die Union befindet sich trotz Krisenhoch auf Sinnsuche

Nach den schwierigen Monaten, die der Bundestagswahl 2017 folgten, hat die Coronakrise der Union eine unverhoffte Atempause verschafft, denn seit dem Beginn der Pandemie kann sie sich in einem bemerkenswerten Umfragehoch sonnen. Es gibt mehrere Gründe für diesen Höhenflug: Zum einen ist die gerade in den vergangenen zehn Jahren gewachsene Reputation als seriöse Krisenmanagement-Partei eines der wenigen verbliebenen Markenzeichen der Union, und sie hat es zudem sehr schnell verstanden, den Kampf gegen die medizinischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie in ein historisches Narrativ einzubetten, das die Parallelen zur Nachkriegszeit und damit auch den entsprechenden Geist von Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Sozialer Marktwirtschaft beschwört – eine Erzählung, die in der öffentlichen Wahrnehmung eng und überaus positiv mit der Union verknüpft ist.

Zum anderen ist da aber auch das handelnde Spitzenpersonal und seine Rollenverteilung, die der Union insgesamt zugutekommt: In bester volksparteilicher Manier sortierten sich die Laschets, Söders und Günthers in ihren jeweiligen Heran- und Vorgehensweisen so, dass ein breites Spektrum von Positionen abgebildet wurde, in dem sich eine Vielzahl von Bürgern mit ihren jeweiligen Standpunkten wiederfinden konnten – wobei die interessanteste Pointe darin bestand, dass der vermeintliche Merkel-Mann Laschet auf Distanz zur Linie des Kanzleramts ging, wohingegen der ehemalige „Asyltourismus“-Söder an der Spitze einer nun von rechtspopulistischen Anwandlungen geläuterten CSU plötzlich Seit‘ an Seit‘ mit der ehemaligen Hauptverantwortlichen für die „Herrschaft des Unrechts“ (Horst Seehofer) schritt. Hinzu kamen ein agil wirkender CDU-Gesundheitsminister und eine Kanzlerin, die unions-, bzw. regierungsintern vermittelnd und öffentlich beruhigend wirkte.

Es ist ein personelles Gesamttableau, mit dem die Union eigentlich entspannt bis vorfreudig den Wahlen 2021 entgegenblicken könnte – wenn nicht im Dezember ein Nachfolger für die Kurzzeit-CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gefunden und danach die Frage der Kanzlerkandidatur zwischen CDU und CSU geklärt werden müsste. Denn ihre aktuell durchaus populäre Mannschaftsaufstellung beschert der Union nicht unbedingt eine gute Ausgangsposition im Ringen um das Kanzleramt, das de facto spätestens im Dezember beginnt; im Gegenteil.

Für die CDU wäre es am einfachsten gewesen, hätte Armin Laschet sich als kompetenter Krisenmanager profiliert und wäre auf dem Parteitag mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt – und umgehend zum Kanzlerkandidaten – mit besten Chancen – gemacht worden.

Doch ganz so wird es wohl nicht kommen: Während Laschet unter dem Vergrößerungsglas der öffentlichen Beobachtung angesichts der teils dramatischen Situation in Nordrhein-Westfalen nicht immer die beste Figur machte und bisweilen fahrig und auch dünnhäutig wirkte, konnte sein Tandempartner Spahn trotz diverser Pannen als Gesundheits(-krisen)minister punkten, wodurch erwartbarerweise Spekulationen aufkamen, dieser könnte doch noch aus dem Team ausscheiden, auf eigene Faust antreten – oder gar die Seiten im Kandidatenwettstreit wechseln.

Größter unionsinterner Gewinner der Krise ist aber offensichtlich Markus Söder, womit sich die K-Lage weiter verkompliziert. Denn damit ist das Idealszenario der CDU Makulatur: Würde Laschet trotz aller Holprigkeiten zum Vorsitzenden gewählt, dann wohl kaum mit riesiger Mehrheit, und es wäre eben keinesfalls selbstverständlich, dass er auch als Kanzlerkandidat antritt, da er zunächst das Plazet des CSU-Vorsitzenden einholen müsste, der angesichts seiner stratosphärischen Umfragewerte zum eigentlichen Königs- oder doch zumindest Kanzlerkandidatenmacher avanciert ist. Ein verheißungsvoller Wahlkampfauftakt Laschets sähe jedenfalls anders aus.

Über Söders eigene Ambitionen wiederum kann inmitten dieser vertrackten Gemengelage nur spekuliert werden; jedenfalls dürfte allen Beteiligten klar sein, dass auch seine Kandidatur mit großen Unwägbarkeiten verbunden wäre, die von möglichen Ressentiments innerhalb der CDU bis zur nicht zu unterschätzenden deutschen Aversion gegen einen bayerischen Kanzler reichen.

Damit sind noch keineswegs alle Aspekte dieser komplizierten Personal-Konstellation angesprochen, doch was darüber gerade in der medialen Berichterstattung oft gänzlich in den Hintergrund rückt, sind die Auswirkungen der Kandidatenkür auf die inhaltliche (Neu-)Ausrichtung der Union, vor allem der CDU. Es dürfte niemandem entgangen sein, dass die Christdemokratie in den vergangenen Jahren nicht gerade mit inhaltlich-programmatischen Positionierungen geglänzt hat. Sicherlich war die CDU nie in erster Linie Programmpartei, und zudem erwies sich die Nichtverortung in Verbindung mit asymmetrischer Demobilisierung als überaus erfolgsträchtige Strategie, die erst 2017 an ihre Grenzen stieß, und zwar bekanntlich recht hart. Doch nicht von ungefähr war seitdem immer wieder von Identitätskrise, Auszehrung und konservativer Erschöpfung die Rede. Wenn die akute Coronakrise im nächsten Jahr überstanden sein sollte, wird die CDU nicht mehr im gleichen Maße wie jetzt von ihrem Ruf als patente Krisenmanagerin profitieren. Auch das geliebte konservative Symbol der „Schwarzen Null“ wird man sich nicht mehr ans Revers heften können.

Die eigentlich entscheidenden Fragen lauten also, wem es zuzutrauen ist, die CDU aus ihrer eigenen strukturell-inhaltlichen Krise zu führen, die von der Coronakrise im Moment nur verdeckt wird, und ob die größte Gefahr für die Christdemokratie langfristig nicht vor allem darin besteht, angesichts aktuell erfreulicher Umfragewerte und den ewigen Weisheiten der CDU-Wahlkampfführung – maximale parteiinterne Geschlossenheit, minimale parteiinterne Diskussion –, die im kommenden Jahr greifen dürften, die Bearbeitung dieser internen Krise immer weiter vor sich her zu schieben, dass sie nicht mehr zu bearbeiten ist – nicht einmal für die Mutter aller Krisenmanager.

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