Tradiertes Wegducken, selbst ein Sicherheitsrisiko

Drohnen, nukleare Teilhabe, Rüstung – Sicherheitspolitik nach der Bundestagswahl

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PICTURE ALLIANCE/DPA | CARSTEN REHDER
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PICTURE ALLIANCE/DPA | CARSTEN REHDER

Tradiertes Wegducken, selbst ein Sicherheitsrisiko

Drohnen, nukleare Teilhabe, Rüstung – Sicherheitspolitik nach der Bundestagswahl

China lehnt den Besuch einer deutschen Fregatte ab, Mali verhandelt über den Einsatz russischer Söldner und die Kabul-Evakuierung zeigte das massive militärische Gefälle der Europäer gegenüber den USA. Die essenzielle Bedeutung von Sicherheitspolitik und Streitkräften offenbart sich aktuell in der Wahlkampf-Hochphase – ohne dort gehaltvoll thematisiert und debattiert zu werden. Dabei sind die Aufgaben der kommenden Regierung bei Verteidigung und Bundeswehr Legion.

Angefangen bei aufgeschobenen Problemlösungen. Bis dato versagt die Politik der Bundeswehr den Einstieg in die Drohnen-Bewaffnung mittels eines Konzepts des „defensiven Wächters“, welches vorsieht, dass Kampfdrohnen Lager und Patrouillen bewachen. Deutschland ist die einzige gewichtige Militärmacht der EU die noch auf einen Einsatz bewaffneter sogenannter UAV (unmanned aerial vehicle, unbemannter Luftfahrzeuge) verzichtet. Dabei soll die Bundeswehr laut gültiger Militärkonzeption Rahmennationenarmee zum Andocken kleinerer Nato und EU-Streitkräfte sein. Ein Anspruch, der sich mit dem Verzicht auf Kampfdrohnen nicht aufrechterhalten lässt.

Auf der langen Bank landete auch die Entscheidung, ob Deutschland die nukleare Teilhabe fortführt. Ausdruck dafür ist die überfällige Beschaffung eines neuen Trägerflugzeugs für US-amerikanische Atom-Lenkbomben. Ein weiterer Betrieb des über 40 Jahre alten Tornado würde jene Summen im Rüstungsetat absorbieren, die für die laufende Ertüchtigung der Bundeswehr mit neuem Gerät gebraucht werden. In der Nato – vor allem bei den Ostflanken-Staaten – gilt die nukleare Teilhabe als wichtiges Element der politischen Geschlossenheit und damit der Abschreckung Russlands. Für einen Ausstieg müsste die deutsche Politik realpolitische Konzepte entwickeln, mit denen sie die Partner vom Verzicht überzeugen oder entschädigen kann. Solche liegen bis dato nicht vor.

Eine ungelöste Großaufgabe bleibt es, die Rüstung besser aufzustellen – trotz diverser Umbauten seit 2012. In der auslaufenden Legislaturperiode wurde das überdeutlich: Die Bündnispartner wünschen sich eine Armee, mit der sich Deutschland global engagieren kann, von der Sahel-Zone bis in den Indo-Pazifik. Daneben soll die Bundeswehr wieder den Großkampf gegen Russland leisten können. Modernes Kriegsgerät ist durch digitale Komponenten aufwendiger in der Konzeption als früher und muss in raschen Zyklen erneuert werden. Daneben braucht es für Auslandseinsätze eine pragmatische und zeitnahe Beschaffung.

Europäisch zu rüsten wird immer dringlicher. Nur so lassen sich Hauptwaffensysteme noch zu annehmbaren Konditionen finanzieren – und ernsthafte militärische Schlagkraft aufbauen. Die Vielfalt der Anforderungen ist kostenintensiv. Die Bundeswehr soll deshalb alle Aufgaben über ein single set of forces abdecken – zu Deutsch: einen Werkzeugsatz militärischer Fähigkeiten. Der bisherige Rüstungsprozess ist hierfür zu schwerfällig und schlecht aufgestellt. Die Finanzierung ist in der Perspektive stets unklar. Die Koordinierung im Leistungsdreieck Militär, Politik und Wirtschaft funktioniert nicht, und die Rüstungskontrolle durch den Bundestag ist ineffektiv. Reformen der Beschaffung müssten in drei Bereichen erfolgen: Formulierung einer Rüstungsstrategie samt Aufbau einer effektiven politischen Koordinierung, überjährige Finanzplanung und eine sinnvollere Kontrolle durch das Parlament.

Nicht nur die Rüstung, auch den Aufbau der Streitkräfte gilt es zu erneuern. Für die Renaissance der Landes- und Bündnisverteidigung müssen wieder schlagkräftige Großverbände aufgestellt werden. Noch-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Generalinspekteur Eberhard Zorn haben dazu mit ihrem Eckpunkte-Papier Vorschläge unterbreitet, die einer konservativen Anpassung an die Anforderungen entsprechen. Deren Umsetzung oder eine weitergehende Strukturreform stehen im Aufgabenheft der kommenden Regierung.

Eine in der jüngsten Afghanistan-Erregtheit aller Orten in der Politik geforderte Prüfung des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch sollte ebenfalls nicht versacken. Am besten wäre es, wenn jene zum Vehikel für eine ernsthafte Debatte zu Profil und Aufgaben der Bundeswehr würde, vor der sich Gesellschaft und Politik seit Jahren drücken. Das fängt damit an, die Rolle der Armee im vermeintlichen Hochleistungswerkzeug deutscher Außen- und Sicherheitspolitik namens „Vernetzter Ansatz“ zu analysieren. Die hastige Notevakuierung aus Kabul warf ein Schlaglicht auf dessen wahre Verfasstheit: Ein stümperhaftes Nebeneinander der Akteure vom Außen- über das Innen- bis zum Entwicklungshilfeministerium – meilenweit entfernt vom Anspruch, besonders vorausschauend und nachhaltig zu agieren; vornehmlich wenn es darum geht, Sicherheit zu schaffen.

Überhaupt drängt die Frage auf Antwort, wo Gemeinwesen und Politik ihren professionellen Gewaltanwender Bundeswehr langfristig verorten. Das 2018 gebilligte Fähigkeitsprofil, eine Ankerarmee für die europäische Wehrintegration bis 2030 aufzubauen, wird bei dem bisherigen Kurs nicht belastbar sein. Hierzu müsste die Bundesrepublik bereit sein, ihre Streitkräfte militärischer – sprich: weniger Brunnenbohren – einzusetzen und in Koalitionen der Willigen und Fähigen einzubringen – dem realistischen Konzept unserer Zeit. Bis dato überlässt Deutschland Eingreifmissionen und kinetisches Operieren anderen. Nicht aus einer legitimen Interessensabwägung heraus, sondern aus tradiertem Wegducken. Deutschlands traditionelle Militärpolitik einer maximalen Einbeziehung aller funktioniert nicht mehr als Generallinie. Ein kleinster gemeinsamer Nenner ist in der Sicherheitspolitik, wo es um klare Effekte geht, die schlechte Herangehensweise; diese ist zur Zeit zu beobachten bei der wirkungslosen EU-Mission mit Bundeswehr-Beteiligung zur Überwachung des Waffenembargos der Vereinten Nationen gegen Libyen.

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