Haupt- und Staatsaktionen

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

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Haupt- und Staatsaktionen

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

Man könne doch Kandidaten, die einen Wahlkreis gewonnen hätten, den Einzug in den Bundestag nicht verweigern, lautet das Hauptargument der Gegner des SPD/Grünen/FDP-Gesetzentwurfes zur Begrenzung der Zahl der Abgeordneten. Tatsächlich könnte es nach dem Plan der Ampelpartner so kommen, immer dann, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach den sogenannten Zweitstimmen zustehen. Den Wahlkreissiegern mit den wenigsten Stimmen wäre der Weg nach Berlin versperrt. Doch was heißt das, jemand habe seinen Wahlkreis gewonnen?

Beispiel 1 – Wahlkreis 15 in Mecklenburg-Vorpommern, jener Wahlkreis, den 2017 Angela Merkel mit 44 Prozent gewann. Vier Jahre später wurde dort die junge SPD-Kandidatin Anna Katharina Kassautzki gewählt – mit gerade einmal 24,3 Prozent der Stimmen. Beispiel 2 – Wahlkreis 95 in Köln. Die meisten Erststimmen erhielt Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvorsitzende: 29,9 Prozent. Die Grünen-Direktkandidatin Katharina Dröge – sie kam über die Landesliste in den Bundestag und ist nun Ko-Fraktionsvorsitzende – erhielt 28,3 Prozent. Bei den Zweitstimmen aber kehrten sich die Verhältnisse um. Die Grünen kamen auf 28,8 Prozent, die SPD bloß auf 25,8 Prozent. Wer ist denn da der Wahlkreissieger?

Direktkandidaten sind für die Parteien wichtig. Sie sind Repräsentant, Vertreter und zugleich Ohr und Sprachrohr. Doch ohne ihre Partei kommen sie nicht aus. Seit Urzeiten ist kein parteiungebundener Politiker mehr in den Bundestag gewählt worden. Beispiel 3 – Bonn, 1969. Der damals überaus beliebte und langjährige CDU-Oberbürgermeister Wilhelm Daniels wollte in den Bundestag; seine Partei aber stellte ihn nicht auf. Daniels kandidierte als Unabhängiger. Er schlug sich achtbar – 20,1 Prozent. Gewählt wurde nicht er, sondern Alo Hauser (CDU) mit 37,9 Prozent. Natürlich ragen manche direkt gewählte Abgeordnete qua Bekanntheit heraus – der kürzlich verstorbene Hans-Christian Ströbele aus Berlin-Kreuzberg etwa, der erste Grüne, der einen Wahlkreis gewann. Doch siehe da – Beispiel 4: Zuletzt gewann die Grüne Canan Bayram den Wahlkreis mit 37,9 Prozent und zwar fast genauso gut wie einst Ströbele (39,9).

In der Regel aber macht das Publikum keinen Unterschied, ob Abgeordnete direkt oder über eine Landesliste in den Bundestag gewählt wurden. Trotzdem fühlen sich die sogenannten Wahlkreissieger – oft mit medialem Zuspruch – als etwas Besseres, so als seien sie nicht auf ihre Partei angewiesen, anders als ihre Kollegen, die über die Landeslisten in den Bundestag kommen. Manche von ihnen begründen ihr Abweichen von Parteibeschlüssen mit dem direkten Mandat ihrer Wähler. Sie unterliegen einer Lebenslüge. Sie sollten Demut zeigen. Wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach der Zweitstimme zustehen, ist das auch ein Beleg dafür, dass die Kandidaten es versäumten, die Politik ihrer Partei zu vermitteln. Warum also sollten die, denen das am wenigsten gelingt, in den Bundestag kommen? Der Gesetzentwurf der Ampelfraktionen zieht die Konsequenz. Die Zweitstimme soll künftig „Hauptstimme“ heißen.

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