Schwerfällig, kompliziert und mit wenig Verständnis

Trotz der späten Kehrtwende: Bundeskanzler Scholz hat mit seinem Leopard-Abrams-Junktim der europäischen Sicherheit einen Bärendienst erwiesen

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SHUTTERSTOCK/FAAWRAY
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Schwerfällig, kompliziert und mit wenig Verständnis

Trotz der späten Kehrtwende: Bundeskanzler Scholz hat mit seinem Leopard-Abrams-Junktim der europäischen Sicherheit einen Bärendienst erwiesen

Plötzlich soll es ein großer Schachzug von Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen sein. Auch die USA geben Kampfpanzer an die Ukraine ab. Erst die Pleite in Ramstein, das Gezerre um die Lieferung europäischer Leopard-2-Panzer, dann hurra: Der Kanzler hatte doch eine Strategie und hat nach politischen Gesprächen mit US-Präsident Joe Biden gegen den Willen von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und dem Pentagon dem US-Militär doch noch 31 Abrams für die Ukraine aus dem Kreuz geleiert. Beide Extremeinschätzungen haben mehr mit den Fieberkurven des Berliner Hauptstadt-Journalismus zu tun als mit den militärischen Notwendigkeiten in der Ukraine und ihrem Überlebenskampf gegen den Angreifer Russland. Und sie beschreiben das eigentliche Problem dieser Politik überhaupt nicht: Die verpasste Chance Europas, sich sicherheitspolitisch zu emanzipieren und auf eine Zeit mit weniger US-Unterstützung vorzubereiten.

Kiew bittet schon seit März 2022 um den Leopard 2. Seit den Befreiungen der Gebiete im Süden und im Osten der Ukraine ist den meisten Militärstrategen klar, dass die ukrainische Armee eine Chance gegen die russische Übermacht an Militärgerät und immer mehr mobilisierten Soldaten haben könnte. Der Schlüssel ist der „Kampf der verbundenen Waffen“. Vor allem die Befreiung der bis Anfang September russisch besetzten Gebiete in der Region Charkiw und die dortigen Kämpfe um die Kleinstadt Kupjansk haben gezeigt, dass die ukrainische Armee nach acht Jahren und vielen Ausbildungsgängen durch Ausbilderinnen und Ausbilder aus den USA und Kanada den hochmobilen Kampf beherrscht, zumal unterstützt durch Drohnen: also den klug koordinierten gemeinsame Einsatz von Waffensystemen an der Front wie der Panzerhaubitze 2000, Schützen- und Spähpanzern und eben – Kampfpanzern.

Von denen hat Deutschland am meisten für die Streitkräfte in Europa produziert: rund 2000 Leopard 2. In Europa gibt es ausreichend Wartungskapazitäten und Logistik für den Panzer aus deutscher Produktion. Der US-Abrams dagegen: schwerfällig, kompliziert zu warten und ein Spritfresser. Deshalb vor allem haben sich die US-Militärs zunächst gegen die Lieferung des US-Panzers in die Ukraine ausgesprochen. Dem deutschen Kanzler aber geht es um das politische Signal. Zuvor hatte Scholz gegenüber US-Parlamentariern am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos das Junktim formuliert: Der Leopard 2 könne nur rollen, wenn auch die USA Kampfpanzer an die Ukraine abgeben.

So kam es dann. Und Olaf Scholz macht der Welt klar, dass Europa mit diesem Bundeskanzler nicht auf eigene sicherheitspolitische Beine kommen wird. Denn mit ihrem Vorschlag der Bildung eines europäischen Leopard-2-Konsortiums für die Ukraine haben die Autoren Gustav Gressel, Rafael Loss und Jana Puglierin von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) genau das im vergangenen September im Blick gehabt: „Der Leopard-Plan: Wie europäische Panzer der Ukraine helfen können, ihr Territorium zurückzubekommen“, heißt das Papier, dessen Inhalt jetzt nach monatelangem Gezerre doch ins Werk gesetzt wird unter Berliner Führung. Allein die Überlegung des Papiers und von Ukraine-Experten wie Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz, dass damit Europa an Statur gewinnen könne bei der Hilfe für die Ukraine – das hat Bundeskanzler Scholz flugs zur Seite gewischt.

Und der Kanzler selbst? Der lässt bei der Regierungsaussprache im Bundestag am Mittwoch vergangener Woche in seiner Antwort auf zwei Fragen der koalitionsinternen Kritikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP – womöglich ungewollt – tief blicken, wie er es so hält mit Europa. Offenbar mit Blick auf den schwierigen Partner in Warschau, sagt der deutsche Bundeskanzler doch tatsächlich: „Ein Satz noch zur Unterstützung durch viele andere. Das wird jetzt interessant werden“, so Scholz mit der ihm eigenen Süffisanz, „übrigens auch für diejenigen, die sich besonders hervorgetan haben, in öffentlichen Diskursen an der deutschen Innenpolitik teilzunehmen“, sprich der wahlkämpfende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki von der rechtsnationalistischen PiS-Partei in Polen. Morawiecki hatte kurz zuvor gedroht, den Berliner Export-Vorbehalt für den Panzer aus deutscher Produktion schlicht zu missachten. Scholz dann im deutschen Parlament: Seine Regierung werde sich kümmern, „dass (lat.) hic Rhodus, hic salta, heißt, dass man dann auch substanziell etwas beiträgt – darum werden wir uns bemühen“.

Das Problem ist: Scholz zeigt dort, wie wenig es ihm um Europa geht. Wie wenig der deutsche Kanzler bis heute über die Befindlichkeiten Ostmitteleuropas weiß. Das galt vor der russischen Invasion vom 24. Februar 2022, als Deutschland Nord Stream 2 genehmigte, obwohl Putin und der Kreml erst die Krim völkerrechtswidrig annektiert und dann im Donbas einen Krieg angezettelt hatte – und das gilt heute noch. Scholz geht es nicht um Europa als solches, durchexerziert an diesem Beispiel europäischer Verteidigungsidentität, um einen Neustart für die Europäische Union.

Zugegeben: Diese rechtsnationale Regierung in Warschau ist schwierig im Umgang. Und doch zeigt Scholz allzu deutlich sein Unverständnis gegenüber den Befindlichkeiten der EU-Freundinnen und -Freunde in Tallin, Riga, Vilnius über Warschau bis hin nach Prag und Bratislava, geschweige denn nach Bukarest und Sofia. Wer aber künftig Europa voranbringen will, der muss Ostmitteleuropa verstehen, dafür hat Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gesorgt, denn Putin greift die Ukraine und Europa an.

Monatelang haben die baltischen Regierungen Berlin bearbeitet. Vorneweg Gabrielius Landsbergis, der konservative litauische Außenminister, Hand in Hand mit seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. Aus Tallin schreibt nach der positiven Leopard-2-Entscheidung der Generalsekretär im estnischen Außenministerium, Botschafter Jonatan Vsevio, er „liebe es, wenn ein Plan in Erfüllung geht“, und denkt dabei wohl an den Vorschlag der europäischen Denkfabrik ECFR und ihren Leopard-2-Plan. Da schimmert dieser europäische Geist durch, an dem es der SPD und ihrem Bundeskanzler offenbar mangelt.

Bei der Union sieht es kaum anders aus. Die beiden kleineren Ampelpartner FDP und Bündnis90/Die Grünen haben hingegen eine sehr sensible Antenne gen Osten. In der SPD gelingt das offenbar mit Michael Roth gerade mal einem bekannteren Abgeordneten. Was bei Ralf Stegner und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich als vermeintlicher Friedenswunsch daherkommt, ist nichts anderes als ein tiefes Unverständnis für die Ängste und Gefahren Ostmitteleuropas. Mützenich wird zudem ein Brief an die SPD-Bundestagsabgeordneten zugeschrieben, in dem er sich auch noch eine Breitseite gegen die deutsche Osteuropa-Forschung erlaubt. Diplomatische Verhandlungen würden vertraulich geführt und nicht „unter Einbeziehung angeblicher Expertinnen und Experten“. Wer so schreibt, dem fällt es schwer, jenen zuzuhören, die genauso bedroht sind von Russland wie die Ukraine: den Freundinnen und Freunden zwischen Riga und Prag.

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