Möllers

Postskriptum

28
01
28
01

Möllers

Postskriptum

Sogenannte Briefings (selbstredend nicht zu verwechseln mit dem Hauptstadtbrief), eigentlich kurze Besprechungen, im Journalismus-Neudeutsch gerne eher kleine Zeitungsausgaben, die den Anschein erwecken sollen, eine spezielle Zielgruppe werde mit noch spezielleren Informationen versorgt. Das „Juristische Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland“, kurz: Juris, sammelt Daten zu Rechtsprechung, Gesetzen und Verordnungen, wertet juristische Fachzeitschriften und weitere Literatur aus. 50,01 Prozent der Anteile gehören der Bundesrepublik Deutschland. Zuletzt ist es in die Schlagzeilen geraten, da auch Juris 2022 eine Journalismus-ähnliche Kurzunterweisung erfunden hat: Libra – das Rechtsbriefing. In einer Reihe von Artikeln in der Frankfurter Allgemeinen nahm sich Jochen Zenthöfer mit einiger Spottlust die ersten 36 Ausgaben vor und trug zusammen, wie nicht eben selten und an Satire grenzend wohlgefällig dort über Bundesjustizminister Marco Buschmann und andere Parteifreunde der FDP berichtet wird.

Nun soll Christoph Möllers, Staatsrechtler der Berliner Humboldt-Universität, ein Gutachten verfassen, das klärt, ob Libra, das von der mehrheitlich dem Bund gehörenden Juris GmbH verantwortete Angebot, zu staatsnah ist.

Ein anderes Möllers-Gutachten ist vor wenigen Tagen erschienen. Nach den antisemitischen Verwicklungen um die Kunstaustellung documenta in Kassel im vergangenen Jahr, sollte der Rechtsprofessor im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth klären, wie weit Kunstfreiheit gehen kann und wann der Staat eingreifen könne oder müsse. Möllers legte sein Demokratieverständnis mit allen politischen und rechtsphilosophischen Desinfektionsmitteln gewaschen bereits vor zwei Jahren in seinem Tractatus-Preis-gekrönten Buch „Freiheitsgrade – Elemente einer liberalen politischen Mechanik“ (Suhrkamp) dar, im Interview mit der Süddeutschen fasste er es zuletzt in nuce so zusammen: Eine freiheitliche Verfassung schütze auch Meinungsäußerungen, „die uns schrecklich oder obszön erscheinen.“ Meinungs- und Kunstfreiheit seien nur so weit beschränkbar, wie sie andere Rechte verletzten: „Dass man sich antisemitisch oder rassistisch äußern darf, wirkt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wie ein Skandal, aber es ist der Skandal einer liberalen Ordnung, die nicht alles rechtlich sanktioniert, was sie politisch verurteilt.“

Auch in der anderen anschwellenden deutschen Debatte dieser Tage spielt Möllers eine nicht unerhebliche Rolle. Als Mitglied der „Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit“ war er maßgeblich am derzeit diskutierten Entwurf (siehe dazu auch Aus dem Bannaskreis) beteiligt. Schon im Mai vergangenen Jahres parierte er im FAZ-Interview elegant die heute so laut vorgetragenen Einwände – und fügte die bemerkenswerte nicht-juristische Erklärung für das Unbehagen jenseits des bloßen Wunsches der Abgeordneten, wiedergewählt zu werden, an: „Wir haben zu viel verfassungsrechtlichen Perfektionismus im System. Wir haben überhaupt zu viel Perfektionismus: Wir wollen Wahlkreise, Parteienrepräsentation, Länderproporz, alle nach dem Prinzip demokratischer Gleichheit.“

Eine Prüfung des Libra-Falls mutet im Vergleich dazu eher wie ein, nun, Briefing an. Aber der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Gutachten, die auch gegen eine der Regierungsparteien ausfallen könnten. Das ist das wohlerwogene Wagnis, das er, um der Freiheit willen, immer wieder eingehen muss.

Weitere Artikel dieser Ausgabe